Tourismus-Krise in Südostasien: «Ich bin auf mich allein gestellt»
Keine Touristen, kein Einkommen: Laut Weltbank könnten 11 Millionen Menschen in Südostasien zurück in die Armut fallen. Drei Betroffene, die durch die Coronakrise bereits ihre Jobs verloren haben, berichten.
Die Ruinen des Tempels Angkor Wat, eine teils intakte Unterwasserwelt, buddhistische Tempel, jede Menge Party und natürlich Streetfood: Für viele Urlauber war Südostasien ein schönes und zudem einfach zu bereisendes Paradies.Rund 30 Millionen Besucher allein aus China kamen im Jahr 2019 nach Südostasien. Sie machten rund 22 Prozent der insgesamt 133 Millionen Touristen aus.
Doch seit der Coronakrise hat sich auch hier viel verändert: Der Region, die vom Tourismus abhängig ist, wie wenige andere, droht inzwischen eine starke Rezession.
Der Tourismussektor, der etwa in Thailand als so stabil galt, dass das Land den Spitznamen "Teflon Thailand" bekam, befindet sich im freien Fall. Die Weltbank geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in dem Staat, der im vergangenen Jahr insgesamt rund 39 Millionen Touristen empfing, in diesem Jahr um drei bis fünf Prozent schrumpfen könnte.
Auch in Kambodscha und auf den Philippinen bedroht der Tourismus-Stopp die Existenz etlicher Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Weltbank sieht elf Millionen Menschen in Südostasien zurück in die Armut fallen. Etliche davon sind in der Reisebranche beschäftigt: als Fahrer, Touristenführer, Zimmermädchen, Parkwächter, Barfrauen. Hier berichten drei Betroffene über die Folgen:
Anafel del Rosario, 28, Touranbieterin auf Boracay, Philippinen
"Ich bin auf Boracay aufgewachsen. Meine Mutter hütete ein Hotelresort eines Amerikaners. Meine frühesten Erinnerungen an diese Insel sind magisch. Jeden Abend sahen wir spektakuläre Sonnenuntergänge und Fledermäuse, die zu Scharen an die Küste kamen. Damals gab es kaum Touristen auf Boracay. Genau wie jetzt. Seit dem 26. Januar kommen keine Flüge aus China mehr an. Wir haben jetzt gar keine Gäste mehr. Die Reiseagenturen sagten uns, das würde mindestens sechs Monate so bleiben. Auch wir sind im Lockdown, weil es auf unserer Insel Corona gibt.
Meine Familie und ichbetreiben ein Picknickhaus, in dem Touristen beim Inselhopping anhalten, um mittags zu essen. Wir starteten unser Geschäft im Jahr 2000, als die ersten Pauschaltouristen die Backpacker ablösten. Seit 2016 haben wir in unserem Picknickhaus bis zu 200 Touristen am Tag bewirtet. Bis vor Kurzem boomten der chinesische und koreanische Markt. Die chinesischen Gäste sagten, unsere Insel sei gut, um schöne Fotos zu machen.
Das Geschäft lief großartig - auch wenn die chinesischen Gäste sich dauernd beschwerten, weil ihnen etwas nicht passte. Wir hatten 30 Leute angestellt, gingen früh morgens zum Markt und bereiteten frische Krabben zu. Pro Monat machten wir umgerechnet rund 4000 US-Dollar Umsatz.
"Es ist totenstill auf Boracay"
In Wahrheit litt Boracay jedoch. Die Insel war total kommerzialisiert, man konnte sich schon seit Jahren während des Sonnenuntergangs nicht mehr an den Strand setzen. Überall waren Leute. Im April 2018 machte die Regierung die Insel dicht. Die Natur sollte sich erholen. Als die Insel wieder öffnete, waren aber überall chinesische Restaurants aufgebaut worden. Der Trubel ging weiter.
Seit der Coronakrise ist es auf Boracay totenstill. Wir sitzen in unserer Hütte und warten. Alle Transportwege sind abgeschnitten. Keine Boote kommen mehr rein, um Nahrung zu bringen. Boracay ist voller Hotels, wir haben daher noch nicht einmal Reisfelder hier. Jeder, der auf Boracay geboren ist, kann aber fischen. Das tun wir jetzt, um zu überleben.
Ersparnisse haben wir nicht, dafür ist unser Einkommen immer zu niedrig gewesen. Ich habe große Angst vor dem Virus, denn ich brauche ein gutes Immunsystem, um in Zukunft weiter in der Sonne und mit den Touristen zu arbeiten. Ich hoffe, dass sie wieder kommen."
Supattarapon Kasikam, "Dearis Doll", 32, Dragqueen aus Bangkok, Thailand
"Vor der Krise arbeitete ich in der 'Maggie Choo'-Bar im Distrikt Silom. Die Bar liegt im Vergnügungsviertel von Bangkok, sie ist im Shanghai-Stil der Zwanzigerjahre dekoriert. Drumherum gibt es Massagesalons, Bars und Souvenirgeschäfte. Dort performte ich seit zwei Jahren jeden Sonntagabend eine Drag-Show.
Nachts quoll Silom über vor Touristen, sowohl Thais als auch Ausländer kamen. Mädchen boten Ping-Pong-Shows an und zogen die Kunden für einen Drink in ihre Bar. Weil meine Gäste meist Ausländer waren, sang ich bei meiner Show englischsprachige Songs synchron - 'Crazy in Love' von Beyoncé zum Beispiel. Eigentlich singe ich lieber mit meiner eigenen Stimme. Aber ich akzeptierte die Auflagen und versuchte, es als Erfahrung zu sehen.
Der Eintritt zu meiner Show kostete neun US-Dollar. Ich selbst verdiente 60 US-Dollar pro Nacht, und wenn ich Glück hatte mit Trinkgeld das Doppelte. Mein Outfit musste ich selbst bezahlen. Um überleben zu können, trat ich auch bei Hochzeiten auf.
Ende Januar bemerkte ich zum ersten Mal, dass weniger Touristen kamen. Weil ich viel auf Facebook unterwegs bin, wusste ich, was los war. Schon damals, als das Virus in China ausbrach, hielt ich mich aus Vorsicht während meiner Show nur noch auf der Bühne auf. Wegen der vielen Touristen war Silom eine Hochrisikozone.
Am 17. März ließ die Regierung alle Bars schließen. Seitdem bin ich mit meiner Familie zu Hause und versuche dort, glücklich zu sein. Morgens gehe ich joggen. Danach poste ich Fotos von meinem Make-up auf Facebook. Ich lebe von meinen Ersparnissen, Geld gebe ich nur noch für Essen aus.
Was das Virus angeht, bin ich ein panischer Typ. Ich gehe nirgendwo mehr ohne Desinfektionsmittel hin. Ich werde auch nicht mehr zu 'Maggie Choo' zurückkehren können, sie haben meinen Auftritt am Sonntag gestrichen. Ich schätze, sie wollen künftig Kosten sparen. Ich hoffe sehr, dass ich etwas anderes finde.
Dragqueens faszinieren mich, seit ich vor Jahren eine Dragqueen bei einer Party gesehen habe. Sie zog die Aufmerksamkeit aller Männer auf sich. Ich lernte jede Menge über Make-up, Verkleidung und Tanzstile. Die Talente von Dragqueens beeindrucken mich. Meine Mutter ermutigte mich vor Jahren an einem Talentwettbewerb teilzunehmen, bei dem ich mich beim Singen als Frau verkleiden musste. Ich war nervös, aber das Publikum liebte es.
Seither habe ich meinen eigenen Charakter entwickelt. Die Krise gibt mir Zeit, aus meiner Komfortzone zu kommen. Ich darf mich selbst nicht nur als Dragqueen definieren, denn diese Karriere wird nur überleben, wo es ein Nachtleben gibt. Darauf kann ich mich nicht mehr verlassen.
Die Regierung hat Hilfe für Arbeiter wie mich in Aussicht gestellt, aber auch darauf zähle ich nicht. Wirtschaftlich ist jeder betroffen: mein Boss, der Sicherheitsmann, der Parkwächter, die Barkeeperin. Selbst die Schneiderin, bei der ich keine Kostüme mehr bestelle."
Sokhom Somrith, 50, Reiseführer aus Siem Reap, Kambodscha
"Ich habe seit 20 Jahren als Tourguide in Siem Reap gearbeitet. Hier steht die berühmte Tempelanlage Angkor Wat. Normalerweise dauerte meine Arbeit von acht Uhr morgens bis etwa 21 Uhr am Abend, wenn die Kunden sich langsam entspannen. Wenn ich als Freelancer arbeitete, führte ich manchmal zwei bis drei Touristen am Tag durch die Ruinen. Wenn ein Touranbieter mich buchte, waren es teilweise 30 oder 40 Klienten. Die meisten kamen aus China und wussten nicht viel über Kambodscha. Viele bekamen das Land von ihren Freunden empfohlen, die schon einmal als Besucher hier waren.
Ich erzählte ihnen die Geschichte der Tempelanlage, wir verbrachten viel Zeit in Souvenirshops oder auf dem Nachtmarkt. Es gibt eine berühmte Pub-Straße in Siem Reap, dort habe ich sie oft nach der Tour abgesetzt, damit sie allein herumlaufen konnten. Chinesisch haben mir meine Eltern beigebracht, mein Vater stammt aus China.