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Mumbai: Im größten Slum Indiens droht ein Corona-Ausbruch

14 апреля
10:52 2020

Im größten Slum Indiens sind erstmals Menschen an Covid-19 erkrankt. Beamte der Stadt Mumbai versuchen verzweifelt, den Ausbruch noch einzudämmen.

Dharavi besteht aus einem Labyrinth aus engen Gassen, manche davon so schmal, dass kaum noch Sonnenlicht zwischen die winzigen Hütten fällt. An jedem normalen Tag spielen hier Kinder auf den Straßen, das Geplärre von Fernsehern ist zu hören, der Geruch von Essen mischt sich mit Abwassergestank. In Tausenden Einzimmerfabriken wird gehämmert, getöpfert und genäht.

Dharavi ist Mumbais größter Slum, womöglich sogar der größte Asiens. Fast nirgendwo sonst auf der Welt leben so viele Menschen auf so engem Raum: mindestens 700.000 Menschen auf zweieinhalb Quadratkilometern Fläche. Es ist, als würde sich die gesamte Bevölkerung Frankfurts in einer Hälfte des Berliner Tiergartens drängen.

Was, wenn sich das neue Coronavirus hier ausbreitet? Oder tut es das womöglich schon?

Am 23. März besuchte ein 56-jähriger Bewohner Dharavis seinen Arzt. Der Mann hustete, hatte Fieber. Aber der Arzt dachte sich nichts dabei. Es gab zu dem Zeitpunkt vergleichsweise wenige Corona-Fälle im Land. Sein Patient war nicht im Ausland gewesen. Der Arzt sah keinen Anlass, den Mann näher zu untersuchen. Er verschrieb ihm stattdessen Paracetamol und Hustensaft, dann schickte er ihn wieder heim. Fast eine Woche später musste der 56-Jährige wegen Atembeschwerden ins Krankenhaus. Drei Tage später starb er, sein Corona-Test war wenige Stunden vor seinem Tod zurückgekommen. Das Ergebnis: Er war positiv.

Es geht jetzt darum, die Katastrophe noch zu verhindern

Für die Beamten der Stadt Mumbai begann damit ein Wettlauf gegen die Zeit. Mumbai gehört zu einem der Epizentren der Coronavirus-Epidemie in Indien. Noch ist das Virus vor allem eine Krankheit der Besserverdiener. Aber die Angst, dass sich das ändern könnte, war von Beginn an da. Sollte sich das Virus einmal in einem der vielen Slums der Stadt ausbreiten, wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr aufzuhalten.

Dharavis Bevölkerung ist zwar vergleichsweise jung, aber viele Menschen sind geschwächt durch Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria. Das staatliche Gesundheitssystem lässt sich schon an seinen besten Tagen als fragil bezeichnen. Ein Ausbruch würde es binnen kurzer Zeit in die Knie zwingen. Für die Bewohner ist es nahezu unmöglich, sich vor einer Infektion zu schützen. Es gibt nicht genug Wasser, nicht genug Toiletten, nicht genug Platz. "Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Krankheitszahlen explodieren", sagt Kiran Dighavkar. Er arbeitet als Assistant Commissioner für die Stadt, Dharavi fällt in seinen Verantwortungsbereich. Es ist jetzt Dighavkars Job, die Katastrophe noch zu verhindern.

Und so versuchten er und sein Team, so viel wie möglich über Patient null zu erfahren. Sie befragten die Familie und was sie fanden, beruhigte sie zunächst. In Dharavi leben schon lange nicht mehr nur die Ärmsten der Armen. Wohnraum in Mumbai ist teuer, in manchen Gegenden können es die Mietpreise mit denen von New York aufnehmen. Auch Menschen der unteren Mittelschicht leben deshalb im Slum: Polizisten, Buchhalter oder Labortechniker. Die Familie des Toten lässt sich dazuzählen. Sie ist nicht reich, aber für Mumbaier Verhältnisse auch nicht bitterarm.

Wo steckte der Mann sich an?

Der Mann führte ein Geschäft für Stoffe und Kleidung, er wohnte mit seiner Familie – seiner Frau und den sechs Kindern– in einem weniger als 40 Quadratmeter großen Zimmer. Ihre Wohnung ist keine Wellblech- und Papphütte, sondern Teil eines sechsstöckigen Gebäudes, eines der wenigen in der Gegend aus Beton und Stahl. Und ganz wichtig: Es gibt ein Badezimmer. In dem Viertel teilen sich oft 80 Personen eine öffentliche Toilette. Krankheiten verbreiten sich auf diese Weise rasant.

Was die Behörden hingegen beunruhigte, war, dass nicht klar war, wo der Mann sich infiziert haben könnte. Die Familie schwor, der Mann habe nicht einmal einen Reisepass besessen, keiner ihrer Bekannten sei erkrankt. Der einzige Ort, den er außer seinem Laden besucht habe, sei die Moschee gewesen.

Nur langsam setzten sich die Puzzleteile zusammen. Der Familie gehört eine zweite Wohnung in der gleichenAnlage. Eine Woche zuvor hatten fünf Männer, die sich auf der Durchreise befanden, dort gewohnt. Sie waren aus Delhi gekommen, wo sie eine islamische Konferenz besucht hatten. Die Veranstaltung gilt in Indien mittlerweile als ein Hotspot für den Ausbruch, weil sich das Virus von dort über die Konferenzteilnehmer in weite Teile des Landes verbreitet hat. So muss es auch in Dharavi gewesen sein: Die Besucher waren fort, aber das Virus hatten sie zurückgelassen.

2500 Menschen unter Quarantäne gestellt

Die Frage war nun: Wo überall war der Kleiderhändler in den 14 Tagen vor seinem Tod gewesen? Die Behörden versuchten anhand von Handydaten, seine Schritte nachzuvollziehen, jedoch mit mäßigem Erfolg. Schließlich führten die Kinder des Mannes die Beamten durch die Gassen. Hunderte Kontakte wurden befragt und isoliert. Das Haus der Familie und sieben Nachbargebäude sind seitdem abgeriegelt, die 2500 Bewohner dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. Polizisten bewachen die Eingänge. Essen und Medizin werden geliefert. 43 Bewohner wurden bislang positiv getestet.

"Es ist uns gelungen, die Infektion auf die Häuseranlage einzugrenzen. Aber die Hütten des Slums liegen gleich nebenan", sagt Dighavkar. Wenn es dort die ersten Fälle gibt, werde es nicht mehr möglich sein, Verdachtspersonen so wie jetzt noch zu Hause zu isolieren. "In den Hütten wohnen manchmal acht bis zehn Menschen", sagt Dighavkar.

Die Stadt hat deswegen eine Sportstätte in der Nähe in ein Quarantänelager mit 300 Betten umwandeln lassen. Ein nahes Krankenhaus bereitet sich derzeit auf eine mögliche Infektionswelle vor. Alle zwei Tage werden die Gassen desinfiziert. Medizinisches Personal geht von Tür zu Tür und fragt, ob Bewohner Symptome zeigen. Auf das Virus getestet werden sie jedoch nicht, weil dafür die Kapazitäten fehlen. Und die große Frage ist auch: Wie lange können die Stadt – und vor allem die Bewohner – die Ausgangssperre durchhalten?

Ein Albtraum, der nicht enden will