Markus Söder und Corona-Regeln: Erst Antreiber, jetzt Bremser
Die Lockerungen der Corona-Regeln kommen in Bayern später als anderswo. Als Krisenmanager ist Ministerpräsident Söder bisher unangefochten. Doch er weiß: Die Kritiker dürften lauter werden.
Angela Merkel hat gerade ihre Schlusssätze gesagt, die Pressekonferenz ist eigentlich schon beendet, da hebt Markus Söder noch einmal den Finger. Er hat noch etwas nachzutragen, es geht um die Konkurrenz unter Kollegen.
"Ich halte jede Form von Detailwettbewerb, wer ist jetzt der wirtschaftsfreundlichere, wer ist mehr der medizinische, in der jetzigen Situation für unangebracht", sagt Söder über das Rangeln der Ministerpräsidenten. Jeder Verantwortliche in den Ländern schätze "beides als Toppriorität" ein.
Söder antizipiert gern politisch heikle Situationen, vor allem für sich selbst. Er ahnte am Mittwochabend im Kanzleramt schon, aus welcher Richtung die Kritik kommen würde. Und worauf sie abzielen würde: Er, der Vorreiter bei Kontaktsperren und Schulschließungen, vernachlässige jetzt über den Virenschutz die Wirtschaft.
Druck aus der Wirtschaft
Die oppositionelle FDP in Bayern kritisierte die Flächenbegrenzungen für den Einzelhandel bereits als "Willkürakt". Auch große Geschäfte könnten "Schutz- und Hygienemaßnahmen einhalten", erklärte der Handelsverband Bayern enttäuscht.
Es ist für Söder, mit seinem Selbstverständnis des Machers, und seine Christsozialen eine ungewohnte Position. Wo Laptop und Lederhose normalerweise eine ertragreiche Symbiose eingehen und die CSU mit dem angestammten Slogan "Näher am Menschen" wirbt, muss Söder jetzt den Zuchtmeister und Abstandsmahner geben.
Eine weitere symbolträchtige schlechte Nachricht deutete der Ministerpräsident am Donnerstag nach der Sitzung des bayerischen Kabinetts an: Er sei "sehr, sehr skeptisch", ob das Oktoberfest stattfinden könne, erklärte Söder. Allein dort geht es um Milliarden.
Seit der Ministerrunde am Vormittag steht fest, dass Lockerungen der bisher strengen Corona-Regeln auch in Bayern kommen. Aber sie kommen vorsichtiger. Die Bürger im Freistaat werden sich noch etwas mehr gedulden müssen als in anderen Bundesländern:
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Ab dem 27. April, und damit eine Woche später als anderswo, öffnen in Bayern Geschäfte bis zu 800 Quadratmetern Verkaufsfläche.
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Die meisten Schüler können erst ab dem 11. Mai in die Schulen zurückkehren.
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Dafür kippt Bayern seine Sonderregelung, dass Bewegung an der frischen Luft nur mit der eigenen Kernfamilie möglich ist; künftig darf das auch mit einer "haushaltsfremden Person" geschehen. So wie es bundesweit Standard war.
"Keine Experimente mit der Gesundheit"
Man werde "keine Experimente mit der Gesundheit machen", erklärte Söder seine Prioritäten, die Fortschritte seien "ein zartes Pflänzchen" und er wolle "keine unkontrollierte Exit-Strategie". Stattdessen: "In der Ruhe liegt die Kraft."
Das klingt anders als Söders Stakkato von Eingriffen zu Beginn der Coronakrise.
Söder spricht gern in Bildern, die er oft wiederholt, damit sie sich beim Zuhörer einprägen. Ein Standardbaustein in seinen vielen Ansprachen ist derzeit der Rekonvaleszent, der sich zu schnell aus dem Krankenbett erhebt, weil er sich gesund fühlt. Den haut es dann erst recht um.
Bislang kann sich Söder in der Rolle des Exit-Bremsers auf die Autorität der Zahlen stützen. Am Donnerstag verkündete er, dass inzwischen mehr als 1000 Menschen in Bayern an den Folgen einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben seien. Hierbei wirkt sich vor allem die Nähe zu Österreich und Italien aus, viele Bayern fingen sich das Virus im Skiurlaub ein.
Die Wähler begrüßen bislang Söders restriktiven Kurs. Laut der jüngsten Umfrage kommt er aktuell auf außergewöhnliche Beliebtheitswerte: 98 Prozent der CSU-Anhänger sind mit dem Krisenmanagement der Landesregierung einverstanden, ebenso 94 Prozent der Grünen-Anhänger.
Würde am Sonntag gewählt, erreichte die CSU wieder die absolute Mehrheit - Söders Gerangel mit seinem Vorgänger Horst Seehofer und der Streit mit Schwesterpartei CDU scheinen Lichtjahre her.