Kreuzfahrten und Coronavirus: Schwimmendes Versuchslabor
Wieder geht auf einem Schiff das Virus um - für Forscher ideale Bedingungen mit einer begrenzten Population. Aber es bleibt die Frage: Sind Kreuzfahrten erst nach dem Ende der Pandemie wieder möglich?
Japanische Behörden haben 60 neue Corona-Infektionen auf einem italienischen Kreuzfahrtschiff bestätigt, das sich derzeit im Hafen von Nagasaki befindet. Die "Costa Atlantica" liegt dort seit Ende Januar für Reparaturarbeiten. Passagiere sind keine an Bord, aber 623 Crew-Mitglieder, von denen inzwischen alle mindestens einmal auf das Coronavirus getestet wurden, berichtet der japanische Fernsehsender NHK.
Mit den neuen Infektionen hat sich mittlerweile nachweislich ein Viertel der Crew mit dem Coronavirus angesteckt. Nur einer musste im Krankenhaus behandelt werden. Alle anderen befinden sich weiterhin an Bord, weil sie nur leichte oder gar keine Symptome zeigen.
"Man weiß genau wer da ist und man kann jeden untersuchen."
Tausende Menschen auf engem Raum: Der aktuelle Ausbruch in Japan beweist erneut, wie leicht es das Coronavirus auf Kreuzfahrtschiffen hat. Selbst als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Erreger zur Pandemie erklärt hatte, traten noch mindestens 6000 Passagiere Kreuzfahrten an, zeigen Analysen des "Guardian". In Australien wird gegen einen Anbieter ermittelt, der einen Corona-Ausbruch auf einem seiner Schiffe kleingeredet haben soll.
Bis Samstag traten auf mindestens 30 Schiffen Coronafälle auf. Besonders heftig traf es die "Diamond Princess". Wochenlang war das Kreuzfahrtschiff der Ort mit den meisten Corona-Infektionen außerhalb Chinas, nachdem es Anfang Februar in Japan unter Quarantäne gestellt worden war.
Mehr als 700 der 3700 Passagiere steckten sich nachweislich mit dem Coronavirus an. Die Quarantäne war deshalb scharf kritisiert worden. "Die Infektionsrate an Bord des Schiffes war rund viermal höher, als was wir an Land in den am schlimmsten infizierten Gebieten Chinas sehen können", sagte Joacim Rocklöv, Professor für Epidemiologie an der schwedischen Umeå-Universität, der den Ausbruch an Bord untersucht hatte. Er ist sich sicher: Hätte Japan die 3700 Passagiere und Crew-Mitglieder sofort nach Ankunft von Bord gelassen, wären nicht so viele Menschen mit dem Erreger infiziert worden.
Für die Wissenschaft sind Kreuzfahrtschiffe eine Corona-Testbatterie. Wo viele Menschen über längere Zeit auf engem Raum zusammenleben, zeigt sich besonders gut, wie sich das Virus ausbreitet. Weil niemand aussteigen kann, lassen sich auch mögliche Infektionsketten leichter rekonstruieren.
"Kreuzfahrtschiffe sind ein ideales Experiment mit einer geschlossenen Population", sagt John Ioannidis, Epidemiologe an der Stanford University. "Man weiß genau wer da ist und man kann jeden untersuchen." An Land ist das viel schwieriger. Dort werden vor allem Menschen getestet, die Symptome haben.
Wie leicht sich Krankheitserreger auf Kreuzfahrtschiffen verbreiten, zeigen immer wieder Ausbrüche des hoch ansteckenden Norovirus, das Magen-Darm-Infektionen auslöst. Auch das Coronavirus konnte sich auf dem Kreuzfahrtschiff offenbar deutlich leichter ausbreiten, zeigen Daten der "Diamond Princess".
Als sich die Passagiere noch frei auf dem Schiff bewegen durften, steckte jeder positiv Getestete im Schnitt wahrscheinlich sieben weitere Menschen an, zeigen Modellberechnungen japanischer Forscher. Im Normalfall liegt die Reproduktionsrate des Coronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen bei etwa zwei bis drei, wenn es auf eine Bevölkerung trifft, die nicht immun ist und keine Kontaktbeschränkungen gelten. Das heißt, dass ein Corona-Patient das Virus in diesen Fällen an zwei bis drei Menschen weitergibt.