Coronavirus: Wo darf man noch hin, was ist Ostern erlaubt?
Vor Ostern wappnen sich vor allem die Nordländer gegen Besucher, sogar innerhalb Deutschlands kontrolliert die Polizei Grenzen. Das führt zu Streit - und zu Verwirrung.
Zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein liegt eine Straße, die "Am Ochsenzoll" heißt. Sie ist zwei Kilometer lang, Ein- und Mehrfamilienhäuser stehen hier. Einst musste Zoll entrichten, wer sie passieren wollte, daher der Name. Seit die Corona-Pandemie das Land heimgesucht hat, fragt sich mancher nun, ob er ein Bußgeld zahlen muss, wenn er den Nachbarn gegenüber besucht.
Denn in der Coronakrise wurden wieder Grenzkontrollen eingeführt - auch innerhalb Deutschlands. So soll die Ausbreitung des Virus verlangsamt und die Einhaltung der massiven Einschränkungen überwacht werden. Vor dem Osterwochenende nahm das Thema noch einmal deutlich an Fahrt auf.
Über das genaue Vorgehen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein zum Beispiel gab es in den vergangenen Tagen Streit. So heftig, dass die Regierungschefs klärende Telefonate miteinander führen mussten. Und zwei Berliner, die ihre Ferienwohnungen in Brandenburg besuchen wollten, zogen vor Gericht. Die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern kontrolliert die Grenzen zu den benachbarten Bundesländern.
Die Regierung in Schleswig-Holstein sagt, man konzentriere sich bei den Kontrollen auf "touristisch interessante Ziele". Seit Mitte März dürfen keine Urlauber mehr einreisen, auch nicht für einen Tagesausflug. Am vergangenen Wochenende schickte die Polizei an der Grenze zu Hamburg nicht nur Autos zurück, sondern auch Fußgänger und Radfahrer.
53 Fußgänger und 416 Radfahrer, um genau zu sein.
Darunter vor allem Hamburger, die ihre übliche Radtour oder ihren Sonntagsspaziergang absolvierten. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs twitterte empört: "Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung wird immer peinlicher. Eine Entschuldigung ist fällig".
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) empfand das als unfreundlichen Akt und protestierte dagegen in einem Telefonat mit seinem Kieler Kollegen Daniel Günther (CDU). Er habe sich mit Günther verständigt, sagte Tschentscher am Dienstag, "dass Kontrollen von Fußgängern und Radfahrern im Nahbereich der Landesgrenze nicht nötig und auch nicht sinnvoll sind." Zweimal hat Tschentscher Günther deshalb bereits angerufen.
Auf den Vorgang angesprochen, verweist Günthers Sprecher auf eine Facebook-Botschaft des Ministerpräsidenten. Der schrieb am Dienstagabend: Man müsse die touristischen Ströme zum Schutze aller überwachen, das gelte auch für die "Naherholungsgebiete rund um Hamburg". Deshalb werde man auch Ostern kontrollieren - mit nötigem Abstand zu den Landesgrenzen. SPD-Fraktionschef und Corona-Kabinettsmitglied Ralf Stegner sagte dem SPIEGEL, die Polizei Schleswig-Holstein werde sich anderthalb Kilometer von der Stadtgrenze zurückziehen.
Ist man Tourist, wenn man seine Tochter besucht?
Bei all dem ist es kein Wunder, dass sich die Hamburger Bewohner der Grenzstraße "Am Ochsenzoll" fragen, ob sie ihre Nachbarn gegenüber, also in Schleswig-Holstein, noch besuchen dürfen. Der Bußgeldkatalog von Schleswig-Holstein sieht vor, dass Einreisen aus touristischem Anlass oder zu Freizeitzwecken bis zu 500 Euro kosten. Ist man Tourist, wenn man die Tochter gegenüber besucht?
Die Verwirrung ist groß. Vor allem, weil mehrere Bundesländer in letzter Minute die Vorgaben geändert haben. Auch Schleswig-Holstein. Am Mittwoch verkündete die Landesregierung, Verwandte in gerader Linie dürften sich nun doch treffen, also Eltern, Großeltern, Kinder oder Enkelkinder. Dafür darf man auch in das Land einreisen.
"Osterchaos"
Die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli sprach von einem "Osterchaos". Auch Niedersachsen korrigierte seine Regelung am Wochenende vor Ostern: Besuche der Familie sind inzwischen erlaubt. Die Verordnung sei in diesem Punkt über das Ziel hinausgeschossen, räumte das Gesundheitsministerium ein.
Darf man also die eigene Familie besuchen? Und gilt das auch, wenn sie in einem anderen Bundesland wohnt? Die kurze Antwort: In allen Bundesländern sind Besuche der Familien nicht erwünscht, da man Verwandte anstecken könnte. Doch nicht in allen sind sie verboten.
Wer in diesen Tagen sein Ferienhaus in Schleswig-Holstein nutzt, muss sich fast schämen. Die Hamburger Familie B. ist seit 16. März in ihrem Haus bei Grömitz in Schleswig-Holstein. Sie fahren in den Ort, wenn sie einkaufen oder tanken wollen. "Immer fällt der erste Blick aufs Nummernschild", sagt Gabriela B. Die Stimmung könne dann schnell kippen, Freunde der Familie seien angepöbelt worden.
Wie Gabriela B. berichtet, patrouilliert die Polizei durch die Straßen, überwacht Parkplätze der Supermärkte, spricht Leute am Strand an. Vor allem am Wochenende werden Autos am Ortseingang kontrolliert und Fahrzeuge mit Hamburger Kennzeichnen herausgewinkt.
Nach einigen Tagen hatte die Familie genug von der Überwachung - und bat ortsansässige Freunde, künftig deren Auto benutzen zu dürfen. Jetzt fahren sie mit einem Nummernschild des Landkreises Ostholstein umher. Der Unterschied sei spürbar, erzählt Gabriela B., "die Leute grüßen viel freundlicher".
Der Streit um die Ferienwohnungen hat das Verhältnis zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein ebenfalls belastet. Im März wurden viele Hamburger von dem Nachbarland gezwungen, ihre Immobilien zu verlassen. Nach einigem Hin und Her einigte man sich: Bereits eingereiste Familien dürften doch bleiben. Damals hat Tschentscher von einer "sehr unfreundlichen Episode" gesprochen und ebenfalls mit Günther telefoniert.
Der Konflikt auf der politischen Ebene setzt sich im Kleinen fort. Der schleswig-holsteinische SPD-Fraktionschef Stegner sagt dem SPIEGEL: "Die Denunzianten sind derzeit ein größeres Problem als die Hamburger." Manche riefen die Behörden bei jedem ortsfremden Pkw-Kennzeichen. "Aber zum Glück reagiert die Polizei darauf cool und gelassen."
Ähnlich hatte sich der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern geäußert, CDU-Mann Lorenz Caffier. Das Meldeverhalten mache ihm Angst, sagte er dem NDR. Die Polizei ermahnte ihre Bürger demnach schon: Nicht jedes fremde Kennzeichen deute auf Urlauber hin. Es gebe schließlich Firmenwagen. Seit 2015 muss zudem niemand mehr bei einem Umzug sein Nummernschild ändern.