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Coronavirus im Flüchtlingsheim: Keiner rein, keiner raus

09 апреля
17:42 2020

Asylbewerber in Massenunterkünften sind in Corona-Zeiten besonders gefährdet. Die Verbreitung des Erregers ist dort nur schwer zu stoppen – und die harten Maßnahmen der Behörden bergen Konfliktpotential.

Die Lage eskalierte beim Mittagessen. Der Caterer hatte die Portionen wie in den vorigen Tagen fertig abgepackt in die Flüchtlingsunterkunft von Halberstadt geliefert. Doch dann warf einer der Bewohner sein Essen auf den Boden. Andere taten es ihm gleich, so berichtet es die Sprecherin des zuständigen Landesverwaltungsamts.

Was dann folgte, bezeichnete die Lokalpresse später wahlweise als Aufstand, Tumult oder Streik. Etwa 100 bis 150 Beteiligte warfen am vergangenen Wochenende Zäune um und machten so ihrem Unmut über die Bedingungen in der Unterkunft Luft. Es soll auch zu Rangeleien mit dem Sicherheitspersonal gekommen sein. Die Polizei rückte mit mehreren Einsatzwagen an. Eine schwangere Bewohnerin wurde ins Krankenhaus eingeliefert, sie konnte am nächsten Tag entlassen werden. Die Polizei prüft mehrere Strafanzeigen gegen Sicherheitsmitarbeiter und Asylbewerber.

Seit knapp zwei Wochen stand die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt zu diesem Zeitpunkt unter Corona-Quarantäne. Seit der ersten nachgewiesenen Infektion hatten sich 40 Bewohner mit dem Virus angesteckt. Der Fall zeigt, wie wichtig gerade dort, in den Flüchtlingsheimen, angemessene Bedingungen sind. Und er zeigt auch, was passieren kann, wenn verängstigte Asylbewerber und überforderte Behörden in einer Massenunterkunft aufeinanderprallen.

Der Ausbruch in Halberstadt war der erste große Fall in einem Asylheim in Sachsen-Anhalt. Zwischen Gemeinschaftsküchen, geteilten Sanitärbereichen und Mehrbettzimmern konnte sich das Virus schnell verbreiten. Wer in einer solchen Unterkunft lebt, kann sich nicht einfach isolieren oder auf Abstand gehen.

Explosive Zustände in der Erstaufnahme

Im März hatte eine Infektion in einer Erstaufnahme in Suhl zu ähnlichen explosiven Zuständen geführt. Auch in Bayern, Baden-Württemberg und Berlin gibt es Ausbrüche in Flüchtlingsheimen. Wie reagieren die Behörden dort? Und was lässt sich aus früheren Fällen lernen?

In Halberstadt begann alles an einem Freitag Ende März. Ein junger Asylbewerber wurde nach seiner Verlegung in ein Flüchtlingsheim in Halle positiv auf das Coronavirus getestet, auch hier wurde Quarantäne verhängt. Zuvor hatte der 27-Jährige über ein Jahr in der zentralen Erstaufnahme in Halberstadt gewohnt – zusammen mit rund 850 Menschen. Hier die Verbreitung eines Virus zu begrenzen, das sich so leicht überträgt wie Sars-Cov-2, ist, diplomatisch ausgedrückt, ein ambitioniertes Unterfangen.

Die Maßnahmen: schnell und radikal

Die zuständige Landesverwaltung entschied dementsprechend schnell – und radikal. Sie stellte das gesamte Heim unter Quarantäne: Keiner kam mehr heraus, keiner hinein. Der Sportplatz wurde geschlossen, alle Freizeitaktivitäten abgesagt, auch die Kantine dicht gemacht. Von nun an brachte dreimal am Tag ein Caterer das Essen, vorportioniert und einzeln verpackt.

Quasi über Nacht errichtete die Polizei Zäune zwischen den einzelnen Wohneinheiten, um mehrere Quarantäneeinheiten zu bilden. Tests auf das Virus unter allen Bewohnern sollten zeigen, wer sich angesteckt hatte. Infizierte wurden in eine eigens hergerichtete Unterkunft in der Nähe gebracht. So hoffte man, das Virus unter Kontrolle zu bringen.

Schon bald wurden Beschwerden der Heimbewohner laut. Auf Facebook kursierten Bilder, die angeblich die Essensrationen zeigten. Darauf zu sehen waren zwei Brötchen, ein abgepackter Aufstrich und eine Karotte.

Der Protest richtete sich gegen die, die das Sagen in der Unterkunft haben – die Heimleitung, die zuständigen Behörden. Es fehle an Hygieneartikeln genauso wie an gutem Essen, das wichtig für das Immunsystem sei, so lautete der Vorwurf. Die Bewohner fühlten sich allein gelassen von denen, die sie schützen sollten.

"Die Proteste waren erwartbar", sagt Helen Deffner vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. "Die Leute hatten einfach Hunger." Wegen des Ausgangsverbots hätten diese auch nicht mehr selbstständig einkaufen können – das sei sonst möglich gewesen, um den persönlichen Bedarf zu decken.

Das Landesverwaltungsamt weist entsprechende Vorwürfe von sich. Selbstverständlich halte man sich an die Vorgaben zur Versorgung der Flüchtlinge, die sähen eine ausgewogene Ernährung vor. Man habe kein Verständnis für die Beschwerden über das Essen. "Wir finden das nicht in Ordnung, das sendet ein schlechtes Signal an die Öffentlichkeit", sagte eine Sprecherin dem SPIEGEL.

Versäumnisse, die einfach hätten verhindert werden können

Mamad Mohamad vom Landesnetzwerk Migrationsorganisationen Sachsen-Anhalt (Lamsa) ist derzeit fast täglich als Konfliktberater in der Unterkunft. Er glaubt, dass die Situation dort fahrlässig heraufbeschworen wurde. Eine Aneinanderreihung von Versäumnissen, die einfach hätten verhindert werden können.

Die schlechte Kommunikation der zuständigen Behörden habe zu einer großen Verunsicherung der Bewohner geführt. Als die etwa die Zäune gesehen hätten, sei ihr erster Gedanke gewesen: "Scheiße, wir werden abgeschoben", so Mohamad.

Solange sich die Kommunikation der Unterkunftsleitung nicht ändere, solange man den Menschen nicht das Gefühl gebe, ernst genommen zu werden, solange würden sich auch die Spannungen nicht auflösen.

Randale in der Erstaufnahme in Suhl

Dass Coronainfektionen in Flüchtlingsunterkünften zu brisanten Lagen führen können, zeigte auch der Protest in Suhl-Friedberg, auch hier war die Zentrale Erstaufnahme betroffen.

Die Thüringer Behörden reagierten ähnlich rigoros wie in Sachsen-Anhalt. 533 Asylbewerber kamen in Quarantäne. Die Abriegelung traf eine Unterkunft, die zuvor immer wieder wegen Randale in die Schlagzeilen geraten war. Polizisten waren mit Steinen und Eisenstangen angegriffen worden. Streifenwagen und die Einrichtung der Erstaufnahme wurden beschädigt. Es gab Ermittlungen gegen Asylbewerber wegen schwerem Landfriedensbruch, versuchtem Totschlag, Körperverletzung und Sachbeschädigung.

Quarantäne war das letzte, was sie hier gebrauchen konnten. Es kam zu dramatischen Szenen: 10 bis 20 vorwiegend junge Männer versuchten auszubrechen. Es wurde gedroht, die Erstaufnahme abzubrennen. Gullydeckel wurden entfernt, um zu sehen, ob durch die Kanalisation ein Weg aus der Isolation führt. Schließlich stürmte die Polizei das Heim. Spezialkräfte trugen weiße Schutzanzüge, Masken und Schutzbrillen, darüber ihre Waffen und Ausrüstung.

Streit in Thüringen

Inzwischen ist die Quarantäne in Suhl aufgehoben, doch schon droht das nächste Problem: In Eisenach wurde ein Bewohner positiv getestet, auch hier wussten sich die Behörden nicht anders zu helfen, als die gesamte Gemeinschaftsunterkunft unter Quarantäne zu stellen. Auch in Suhl kam es in der Nacht zu Donnerstag erneut zu Unruhen und einer Massenschlägerei, die Polizei rückte mit 50 Beamten an.

Um die Ausbreitung des Virus so gut es geht zu verlangsamen, will das thüringische Landesverwaltungsamt kleinere Standorte im Land eröffnen. In Erfurt wurden 120 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und der Russischen Föderation in einer ehemaligen Jugendherberge untergebracht. In einem Info-Schreiben an die Anwohner heißt es, dies sei nötig, um "die Corona-Epidemie aktiv zu bekämpfen". Gemeinsam gegen Corona heiße auch, "sich solidarisch um die Mitmenschen zu kümmern, die als Geflüchtete bei uns sind". Den Anwohnern wird versichert, dass eine regelmäßige medizinische Kontrolle erfolge.

Widerstände gegen diese Politik sind erwartbar. Gerade hatte die Thüringer Migrationsbeauftrage Mirjam Kruppa gefordert, besonders gefährdete Flüchtlinge in Wohnungen statt Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen bräuchten eine Wohnung mit eigenem Bad und eigener Küche.

Die Thüringer CDU reagierte umgehend. "Seuchenschutz lässt sich auch in Gemeinschaftsunterkünften umsetzen", sagte der integrationspolitische Sprecher. Keine Besucher, keinen Kontakt nach außerhalb – dann werde kein Erreger eingeschleppt. Zudem seien die Unterkünfte derzeit nicht einmal zur Hälfte belegt. In vielen Landkreisen werde eine dezentrale Unterbringung "mit großer Skepsis gesehen". Rot-rot-grün, so er Vorwurf der Union, nutze die Krise, "um einen Politikwechsel zu begründen". Die AfD sieht es kaum anders.

Neue Unterkunft in Sachsen

Sachsen hatte im März mit zwei bestätigten Covid-19-Befunden unter Flüchtlingen in Leipzig zu kämpfen. In der Max-Liebermann-Straße hatten sich zwei junge Männer angesteckt. Das Gesundheitsamt verfügte einen Aufnahme-, Transfer- und Verlegestopp. Das Heim war zwei Wochen komplett dicht. Anfang der Woche reagierte die Landesdirektion und eröffnete im Leipziger Norden eine Unterbringung mit dem Namen Mockau III. Neu ankommende Flüchtlinge in Sachsen sollen künftig grundsätzlich für bis zu drei Wochen dort untergebracht werden. Sie werden unter anderem auf Covid-19 getestet. Erst bei negativen Ergebnissen werden die Menschen im Freistaat verteilt.

Bayerischer Flüchtlingsrat erstattete Anzeige gegen Staatsregierung

In Bayern wählt man einen ähnlichen Weg. Alle neuen Asylbewerber werden dort auf das Virus getestet, erst bei einem negativen Ergebnis dürfen sie in die Gemeinschaftsunterkünfte ziehen. Seit Ende Februar sind laut bayerischem Innenministerium rund 2300 Tests durchgeführt worden, über 50 Infektionen wurden so erkannt.

Dennoch traf es auch hier eine Einrichtung in Landshut. "Das ist ein Beispiel für das katastrophale Management eines Ausbruchs", sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Zwar seien die infizierten Bewohner in eine separate Unterkunft verlegt worden. Die restlichen Asylbewerber habe man aber nicht getestet. Alle nutzten weiterhin die gemeinsamen Küchen und Sanitäranlagen. So konnte sich das Virus weiter verbreiten.

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