Corona und Streit um Staatsbeteiligung: Der Fall Lufthansa
Der Staat will sich an Unternehmen beteiligen, die in Not geraten sind. Doch die Verhandlungen mit der Lufthansa zeigen, wie schwierig die Entscheidung im Einzelfall ist.
Von Martin Hesse, Armin Mahler, Martin U. Müller, Christian Reiermann, Michael Sauga und Gerald Traufetter
Bei den Verhandlungen zur Rettung der durch die Coronakrise schwer angeschlagenen Lufthansa gibt es Unstimmigkeiten zwischen Regierung und Konzern. Lufthansa sei in den Gesprächen bisher forsch aufgetreten, erfuhr der SPIEGEL aus Regierungskreisen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Airline davon ausgehe, dass der Staat sie abfedern müsse, empfindet man dort als irritierend. Der Konzern habe ein Eckpunktepapier für den Einstieg des Bundes vorgelegt. Grundtenor des Schriftstücks sei, dass alle Vorteile bei der Lufthansa und ihren Aktionären liegen würden, das gesamte Risiko dagegen beim Staat, sagt ein Verhandlungsinsider. So reklamiere der Lufthansa-Vorstand, dass eine stille Beteiligung des Bundes vom Konzern selbst verwaltet werden solle. Der Bund soll nach einer Kapitalerhöhung bedingungslos Geld nachschießen, sollte dies nötig sein.
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Das Gesetz ist noch nicht einmal in Kraft, doch schon sein erster Anwendungsfall könnte kaum spektakulärer ausfallen. Es geht um das Überleben der Lufthansa.
Europas größte Fluglinie war noch bis vor wenigen Wochen eine profitable Airline. Seit die Flugzeuge wegen der Corona-Pandemie am Boden bleiben müssen, schmilzt die Liquidität in atemberaubendem Tempo: Eine Million Euro verbrennt der Konzern – pro Stunde.
Und so ist die Lufthansa seit vergangenem Dienstag ein Fall für den Staat. Per Videoschalte verhandeln Lufthansa-Manager mit dem Wirtschaftsministerium über die Rettung; Lufthansa-Chef Carsten Spohr telefonierte mit dem Kanzleramt. In der Woche nach Ostern dürfte klar sein, ob der ehemalige Staatskonzern teilweise rückverstaatlicht wird.
Die Lufthansa wäre das erste Unternehmen, an dem sich die Bundesregierung im Zuge der Coronakrise beteiligt. Viele weitere könnten folgen. Hält der Shutdown der Wirtschaft an, werden selbst bislang gesunde Unternehmen mit Krediten allein nicht zu retten sein, sondern brauchen frisches Eigenkapital, zur Not vom Staat.
Mit dem Gesetz zur Errichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) hat die Koalition die Voraussetzungen für den tiefsten Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen seit Bestehen der Bundesrepublik geschaffen. 100 Milliarden Euro stehen bereit, mit denen sich der Staat an notleidenden Firmen beteiligen kann. Nur die EU-Kommission muss die staatlichen Beihilfen noch absegnen.
Dass der Aufschrei im Lager der Unternehmen bisher ausbleibt und Warnungen vor einem neuen Staatskapitalismus eher selten zu hören sind, zeigt, wie groß die Not ist. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie hält "zeitlich begrenzte Beteiligungen des Staates" für vertretbar. Aber "nur dann", wie BDI-Präsident Dieter Kempf sagt, "wenn Unternehmen nachweislich durch den Shutdown in die Liquiditätskrise kamen und nur so vor der Insolvenz gerettet werden können".
Aber was heißt dieses "nur so"? Der Fall Lufthansa zeigt, wie schwierig die Entscheidung im Einzelfall ist, wie kompliziert die Abwägungen und denkbaren Modelle. Soll einem Unternehmen durch eine Staatsbeteiligung das Überleben gesichert werden – oder nicht? Welchen Einfluss darf der Staat dann auf die Strategie nehmen? Wie kann sichergestellt werden, dass die Beteiligung den Wettbewerb nicht verzerrt, weil Konkurrenten ohne Staatshilfe auskommen müssen?
Anders als in der Finanzkrise, als der Staat Banken retten musste, die sich verzockt hatten, trifft die Politik jetzt auf Unternehmen, die eigentlich gesund und nur durch den Shutdown in Not geraten sind. Sprich: durch eine Entscheidung der Politik. So sehen es jedenfalls viele Manager.