Corona-Krise: Wirtschaftsinstitut warnt vor zu schnellen Lockerungen
Nach Wochen mit geschlossenen Geschäften, Schulen und Firmen sehnen sich viele Menschen nach Alltag. Ein zu schnelles Ende der Maßnahmen würde die wirtschaftliche Lage einer Studie zufolge aber verschlimmern.
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) plädiert dafür, die geltenden Kontaktbeschränkungen nur mit Bedacht zu lockern. Eine vorschnelle Aufhebung der Sanktionen berge die Gefahr, dass es zu einem erneuten Emporschießen der Coronavirus-Infektionen komme. Dies steigere neben den gesundheitlichen auch die wirtschaftlichen Risiken. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts.
Sollten die Kontaktbeschränkungen nach einer Lockerung erneut verschärft werden müssen, könnte es "am Ende zu längeren - und damit ökonomisch kostspieligeren – Einschränkungen" kommen, heißt es weiter. Die Schritte zu einer Lockerung müssten zudem unbedingt mit genügend Vorlauf kommuniziert werden.
"Schädlicher als eine länger anhaltende Kontaktbeschränkung wäre eine kurze Lockerung gefolgt von einer neuen, noch einmal längeren Phase von Kontaktbeschränkungen mit geschlossenen Betrieben in Einzelhandel und Gastronomie", heißt es in der Studie. In einem solchen Szenario würde die Gesamtdauer der Umsatzausfälle und Betriebsschließungen in der Summe länger ausfallen. Daher wäre auch mit größeren Ausfällen beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu rechnen.
Gefahr von Pleiten und Arbeitslosigkeit
Jeder Monat, den die Kontakteinschränkungen unverändert fortgesetzt werden müssen, kostet laut Schätzung der Forscher etwa einen Prozentpunkt Wirtschaftswachstum - zusätzlich zu den vier Prozent Schrumpfung des BIP, mit denen das IMK für 2020 jetzt schon rechnet. So wachse die Gefahr, dass es zu Unternehmenspleiten und in der Folge zu steigender und sich verfestigender Arbeitslosigkeit komme, heißt es weiter.
"Es ist wichtiger, dass die Kontaktbeschränkungen nachhaltig gelockert werden, als dass sie schnell gelockert werden", sagt Sebastian Dullien, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. Zwar würden die Kosten der Kontaktbeschränkungen mit einem Andauern über Anfang Mai hinaus überproportional steigen. Aber das Risiko eines anhaltenden Stop-and-Gos mit erneuten flächendeckenden Schließungen von Schulen, im Einzelhandel und in der Gastronomie wiege schwer, sagt der Ökonom. "Am Ende zählt die Gesamtdauer der Betriebsunterbrechungen. Wenn jetzt für zwei Wochen alles wiedereröffnet wird, um dann wieder für zwei Monate schließen zu müssen, ist nichts gewonnen.".
"Intelligente Strategie der Öffnung"
Sollte eine Lockerung ab Anfang Mai beginnen, fordert das IMK eine "intelligente Strategie der Öffnung". Dafür macht das Institut mehrere Vorschläge:
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So sei in einem ersten Schritt die rasche Kommunikation und Umsetzung von Infektionsschutz und Abstandsregeln in Kindertagesstätten, Schulen, Einzelhandel und Gastronomie nötig. Dazu gehörten auch Vorgaben zu notwendigen Umbauten und Hygienevorschriften.
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In Schulen und Kitas sollte ein teilweiser Betrieb wieder aufgenommen werden, beispielsweise ein abwechselnder Unterricht der einzelnen Klassen an verschiedenen Tagen bei klarer räumlicher Trennung.
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In Geschäften sollte generell mit Trennwänden und je nach Größe mit Einlassbeschränkungen gearbeitet werden.
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Es sollte geprüft werden, ob eine generelle Tragepflicht für einfache Masken die Infektionsverbreitung begrenzen könnte, sobald deren Verfügbarkeit gegeben sei. Solange nicht genügend Masken zur Verfügung stehen, sei ein schnelles Hochfahren der heimischen Produktion sinnvoll. Diese sollte von der Regierung durch Großbestellungen und langjährige Lieferverträge gefördert werden.
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Wichtig seien zudem eine deutliche Ausweitung der Testkapazitäten sowie eine möglichst flächendeckende Möglichkeit zum Tracking und zur effektiven Information von Kontaktpersonen nach Infektionen. Dazu sollte die Nutzung von Handy-Apps geprüft werden. Diese sollten möglichst ohne zentrale Speicherung von Kontakt- oder Bewegungsprofilen und zeitlich begrenzt funktionieren. So wäre es denkbar, den Zugang zu Restaurants für diejenigen zu lockern, die eine solche App nutzen.
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In Gegenden mit niedrigen Infektionsraten sollte mit der Wiedereröffnung von Gastronomie, Einzelhandel und Schulen vorangeschritten werden, solange nur Ortsansässige das Angebot nutzen könnten. Auch hier sollte das Abstandsgebot weiter gelten.
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Zudem sollte die Bevölkerung darauf vorbereitet werden, "dass eine erneute, graduelle Verschärfung der Kontaktbeschränkungen notwendig werden könnte".
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Insbesondere an Schulen sollte die digitale Infrastruktur verbessert werden. Zentral sei die Ausstattung vor allem "wirtschaftlich benachteiligter Kinder und Jugendlicher mit Laptops oder Tablets sowie den dafür notwendigen Internetzugängen".
"Stabilisierung europäischer Nachbarländer"
Ein absolut notwendiger Teil einer Exit-Strategie sei auch die Stabilisierung europäischer Nachbarländer. Der überwiegende Teil des zu erwarteten BIP-Einbruchs im laufenden Jahr rühre laut IMK von Schwierigkeiten im Verarbeitenden Gewerbe her. Das Institut nennt dabei einen Rückgang der Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten im In- und Ausland sowie Störungen in den grenzüberschreitenden Lieferketten.
Während der Anteil des Produzierenden Gewerbes ohne Bau am nationalen BIP bei rund 24 Prozent liege, steuerten die derzeit besonders betroffenen Sektoren Gastronomie und Gastgewerbe, Non-Food-Einzelhandel, Kultur sowie die Freizeitwirtschaft nur rund sieben Prozent bei.