Corona-Krise in der Türkei: Recep Tayyip Erdogan bleibt sich treu
Die Türkei hat so viele Corona-Kranke wie nur wenige andere Länder. Doch statt die Krise entschlossen zu bekämpfen, verfolgt Präsident Erdogan lieber Kontrahenten.
Die schlechten Nachrichten müssen andere überbringen. Jeden Tag schickt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen Gesundheitsminister Fahrettin Koca vor, um den Bürgerinnen und Bürgern die Zahl der Corona-Infizierten und Toten in der Türkei zu verkünden.
Es ist eine beunruhigende Statistik. Die Corona-Kurve ist in der Türkei zuletzt so steil angestiegen wie in fast keinem anderen Land. Mehr als 90.000 Corona-Kranke zählte Koca am Montag. Die Türkei beklagt damit die meisten Infizierten außerhalb Europas und den USA, mehr als China.
Lange Zeit hat die türkische Regierung das Ausmaß der Krise heruntergespielt:
-
Gesundheitsminister Koca versicherte den Menschen, das Virus würde nach höchstens zwei Monaten von selbst wieder verschwinden.
-
Regierungsnahe Medien behaupteten, Türken seien aufgrund ihrer Gene immun gegen die Seuche.
Auf diese Weise ging wertvolle Zeit bei der Eindämmung der Pandemie verloren. Inzwischen kann Erdogan das Problem nicht mehr ignorieren.
Unliebsame Einschränkungen müssen Untergebene erklären
Doch der Präsident, der sonst omnipräsent ist, hält sich im Kampf gegen das Virus nach wie vor auffallend zurück. Wie Russlands Autokrat Wladimir Putin ist auch Erdogan weitgehend abgetaucht. Unliebsame Einschränkungen müssen Untergebene erklären, Koca oder Innenminister Süleyman Soylu.
Erdogan befindet sich in einem Dilemma. Er dürfte sich sehr wohl darüber im Klaren sein, dass sich das Virus letztlich nur mit harten Maßnahmen wirksam bekämpfen lässt, mit Ausgangssperren und Kontaktverbot. Doch davor schreckt er aus Sorge um die Konjunktur zurück.
Die türkische Wirtschaft steckt seit dem Währungsstreit mit den USA im Sommer 2018 in einer Krise. Inflation und Arbeitslosigkeit waren schon vor Corona auf einem Rekordniveau.
Erdogans Leute fürchten, dass sich der Niedergang durch einen Lockdown, wie ihn etliche europäische Staaten angeordnet haben, rasant beschleunigen würde. Und das wiederum könnte Kontrahenten des Regierungschefs wie dem Ex-Wirtschaftsminister und Vorsitzenden der neu gegründeten Deva-Partei, Ali Babacan, Auftrieb geben.
Bislang beschreitet die Regierung einen Mittelweg, womit sie den Schaden jedoch teilweise nur vergrößert. So ordnete Innenminister Soylu für das Osterwochenende überstürzt eine 48-stündige Ausgangssperre für Istanbul und andere Städte an. Die Folge: Menschen kauften panisch Lebensmittel ein und das Virus wurde so wohl nur noch weiter verbreitet. Soylu reichte nach der Panne seinen Rücktritt ein, nur um Stunden später nach einem Gespräch mit Erdogan seinen Rücktritt vom Rücktritt zu erklären.
Auch spezifische Einschränkungen für Menschen über 65 und unter 20 haben die Kurve nur bedingt abgeflacht. Wohl auch deshalb hat sich die Regierung nun dazu durchgerungen, ab Donnerstag eine weitere viertägige Ausgangssperre für die gesamte Türkei zu verhängen. Zudem haben die Behörden die Testkapazitäten inzwischen deutlich verbessert und die Produktion von Beatmungsgeräten vorangetrieben.
Vergewaltiger kommen aus dem Gefängnis frei, Journalistinnen nicht
Letztlich aber bleibt sich Erdogan auch in dieser Krise treu. Statt sein tief gespaltenes Land zu einen, vertieft der Präsident die Gräben weiter.
Das türkische Innenministerium hat Ermittlungen eingeleitet gegen die Bürgermeister von Ankara und Istanbul, Mansur Yavas und Ekrem Imamoglu, beides Mitglieder der Oppositionspartei CHP. Der Grund: Sie haben Spendengelder für Anti-Corona-Maßnahmen eingesammelt. Hunderte Menschen wurden überdies wegen vermeintlich "provokanter" oder "irreführender" Corona-Posts in den sozialen Medien festgenommen.