Corona-Krise: Der Schmu mit der Kurzarbeit
So einfach wie heute gab es noch nie so viel Kurzarbeitergeld. Da lockt der Betrug: Subvention kassieren und dennoch voll arbeiten lassen. Doch das Risiko ist hoch.
In der Coronakrise scheint sich ein altes Sprichwort zu bestätigen: Gelegenheit macht Diebe. Die Gelegenheit bieten derzeit einige Maßnahmen, die die wirtschaftlichen Schäden des Corona-Shutdowns abmildern sollen. So häufen sich etwa Berichte, wonach selbst hoch besoldete Richter und Beamte Soforthilfen beantragt haben, weil ihre Nebenverdienste nun ausfallen - obwohl ihnen gar kein Liquiditätsengpass droht.
Auch das Kurzarbeitergeld scheint in dieser Hinsicht verlockend zu sein. Umso mehr, als die Bundesregierung die Hürden dafür deutlich gesenkt und es noch attraktiver gemacht hat, indem nun auch die Sozialbeiträge erstattet werden. In sozialen Medien berichten Arbeitnehmer bereits davon, dass ihr Arbeitgeber Kurzarbeit für sie anmelden wolle – sie aber dennoch in gleichem Umfang weiterarbeiten sollen wie bislang.
Doch ist es wirklich so einfach, die Arbeitslosenversicherung auszunehmen? Geschieht dies nun massenhaft? Und was droht jenen, die man dabei erwischt?
"Das geschilderte Phänomen ist nicht neu", sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA), "es ist bereits im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 vereinzelt aufgetreten." Damals beantragten bereits relativ viele Unternehmen krisenbedingt Kurzarbeit, insgesamt dürften es rund 160.000 gewesen sein. Am Ende ermittelten die Behörden gegen rund 850 Unternehmen.
In der aktuellen Krise melden aber deutlich mehr Betriebe Kurzarbeit an. Allein binnen rund vier Wochen sind es bereits 650.000. Entsprechend höher könnte diesmal die Zahl der Unternehmen sein, die versuchen, die Arbeitslosenkasse auszunehmen. Dazu kommt: Steigt die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit, so erschwert das die Kontrollen. Zu diesem Schluss kam der Bundesrechnungshof, als er die Genehmigungspraxis nach der Finanzkrise prüfte. In mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle erkannte die BA Anträge schon dann an, wenn die Unternehmen nur behaupteten, der Arbeitsausfall beruhe auf der Wirtschaftskrise.
Teilweise zahlte die BA sogar Kurzarbeitergeld für bereits gekündigte Arbeitnehmer oder für einen angeblichen Ausfall an arbeitsfreien Feiertagen aus. In mehreren Fällen kassierten zudem Familienangehörige eines Arbeitgebers Kurzarbeitergeld, während alle anderen Arbeitnehmer nicht vom Arbeitsausfall betroffen waren. Die BA reagierte damals auf die Kritik und stellte mehr Personal zur Prüfung der Anträge ab. Der Rechnungshof zeigte sich nach einer Kontrollprüfung zufrieden: Nur noch in 15 Prozent der Fälle seien Anträge nun ohne nähere Begründung bewilligt worden.
Mehrfach strafbar
Ein gewerkschaftlich organisierter Zollbeamter bestätigt, dass ein Missbrauch der Kurzarbeit zwar normalerweise sehr selten geschehe, nun aber ein erneuter Anstieg zu erwarten sei: "Das wird sicherlich in der zweiten Jahreshälfte zum Thema werden." Weil es sich juristisch um Schwarzarbeit handelt, kontrolliert und verfolgt auch der Zoll möglichen Missbrauch. Er ist die einzige Behörde, die vor Ort prüfen kann, wie viel ein Mitarbeiter tatsächlich arbeitet.
Klar ist: Wer die BA bei der Kurzarbeit ausnehmen will, geht ein hohes Risiko ein, zumindest theoretisch. Dann ist nicht nur das Kurzarbeitergeld zurückzuzahlen. "Bei einem Missbrauch würden sich alle Beteiligten – Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Lohnbuchhaltung –, die davon Kenntnis hatten, strafbar machen", sagt die BA-Sprecherin. Und das womöglich gleich mehrfach, erklärt Matthias Brockhaus, Fachanwalt für Strafrecht. Ein Arbeitgeber lasse dann nicht nur schwarzarbeiten, sondern begehe unter Umständen:
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Betrug,
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Subventionsbetrug, für den bereits unrichtige Angaben bei der Antragstellung ausreichen,
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Nötigung oder gar Erpressung, falls er seine Mitarbeiter anweist, falsche Angaben über die Arbeitszeit zu machen.
Auch die Mitarbeiter können sich strafbar machen, "spätestens dann, wenn sie Stundenzettel falsch ausfüllen", sagt Brockhaus. Oder wenn sie ausstempeln, anschließend aber weiterarbeiten.
Doch wie hoch ist das Risiko in der Praxis tatsächlich? Das kommt stark auf die Branche, den Betrieb, die Art der Arbeit sowie den Umfang der Kurzarbeit an.
In einem ersten Schritt meldet ein Betrieb bei der BA die Kurzarbeit an, die Behörde spricht von einer Anzeige. Dabei muss der Arbeitgeber angeben, wie hoch die Arbeitszeit normalerweise ist und wie hoch sie während der Kurzarbeit sein soll. Wenn die BA die Kurzarbeit grundsätzlich bewilligt, geht der Arbeitgeber erst einmal in Vorleistung: Er zahlt das Kurzarbeitergeld an seine Arbeitnehmer – und lässt es sich danach von der BA vorläufig erstatten. Dabei gibt er für jeden betroffenen Beschäftigten den exakten Arbeitsausfall an. Nach dem Ende der Kurzarbeit erfolgt die Abschlussprüfung der BA, die das Kurzarbeitergeld erst dann endgültig festsetzt – und eventuell Geld zurückfordert oder nachzahlt. Die Kontrolleure können sich zudem Materiallisten vorlegen lassen oder Nachweise über Auftragsstornierungen einfordern.
"Das macht bei uns der Azubi"
Relativ leicht zu entdecken ist der Betrug deshalb überall dort, wo sich nur schwierig vertuschen lässt, dass in Wirklichkeit doch mehr gearbeitet wurde: Eine Fabrik, die bei halber Arbeitszeit dennoch so viel produziert wie in normalen Zeiten – das ist unplausibel. Auffällig wird es auch, wenn ein Betrieb sogenannte Kurzarbeit null behauptet – seine Mitarbeiter also nicht nur in Teilzeit, sondern überhaupt nicht mehr arbeiten lässt –, aber dennoch nennenswerte Umsätze generiert. Wahrscheinlicher wird der Betrug also dort, wo die Arbeitszeit lediglich reduziert wird – und in jenen Branchen, in denen Schwarzarbeit ohnehin eine größere Rolle spielt und die Manipulation von Unterlagen bereits geübt ist. Dazu gehören erfahrungsgemäß die Baubranche und die Gastronomie.