Corona-Krise: Angela Merkel und Ministerpräsidenten beraten über Exit-Strategie
Kanzlerin und Ministerpräsidenten beraten über erste Schritte aus dem Corona-Lockdown. Manche Länderchefs wünschen spürbare Lockerungen, andere bremsen. Ist eine gemeinsame Linie möglich?
Technisch sollte die Sache kein Problem mehr sein, mit Videokonferenzen haben die Mitglieder der Bundesregierung wie die Ministerpräsidenten der Länder in den vergangenen Wochen dank Corona reichlich Erfahrungen gesammelt. Ungewiss ist dagegen, was inhaltlich in der Schalte zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Länderchefs am Mittwochnachmittag herauskommt.
Wird man sich tatsächlich auf einen bundesweiten Fahrplan aus dem Lockdown einigen können? Oder bleibt es fürs erste bei den aktuellen strengen Maßnahmen im Kampf gegen das Virus?
Besonders aus der Wirtschaft wächst der Druck auf die Politik, das öffentliche Leben und damit auch die Arbeitswelt schrittweise wieder zu normalisieren. Einige aktuelle Studien liefern dazu entsprechende Argumente. Auch die nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina plädierte am Montag für einen "realistischen" Zeitplan zurück zur Normalität - Merkel hatte zuvor betont, sich die Leopoldina-Ratschläge besonders zu Herzen zu nehmen. Schon am Mittwochvormittag könnte das sogenannte Corona-Kabinett daher auf der Grundlage dieser Empfehlungen erste Entscheidungen über einen möglichen Exit-Fahrplan treffen.
Welche politischen Akteure wollen den raschen Einstieg in den Ausstieg, wer bremst – und welche Rolle spielen die Wissenschaftler und ihre Studien?
-
Die Drängler
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet ging zuletzt besonders vernehmbar in die Offensive. Als Regierungschef des bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Bundeslandes sieht er sich in ohnehin in einer exponierten Rolle, zudem scheint NRW bei den Corona-Infektionen und -Todeszahlen inzwischen auch eine erfreuliche Entwicklung genommen zu haben. Deshalb sieht Laschet sein Bundesland besonders gut gerüstet für erste Lockerungen - so sollen bestimmte Schüler bald wieder unterrichtet werden. CDU-Mann Laschet spricht, unterstützt von seinem Koalitionspartner FDP, von der Rückkehr "in eine verantwortungsvolle Normalität".
"Konsequenter Infektionsschutz bleibt weiterhin unser oberstes Ziel", betonte FDP-Vizeministerpräsident Joachim Stamp. "Wenn die Hygiene- und Abstandsregeln jedoch weiterhin konsequent eingehalten werden, kann das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben stufenweise geöffnet werden." Die Bundes-Grünen plädierten am Dienstag ebenfalls für erste Schritte Richtung Alltag.
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hatte sich vor Ostern für eine Lockerung nach den Feiertagen ausgesprochen, zuletzt warnte der CDU-Politiker allerdings vor zu hohen Erwartungen.
-
Die Bremser
Das Pendant zu Laschet auf der Seite der Bremser ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Seit Beginn der Coronakrise steht der CSU-Politiker für eine besonders strikte Linie – daran will Söder festhalten. Er spricht von einem "sicheren und besonnenen Weg aus der Coronakrise", vorsichtige Erleichterungen könne es nur mit zusätzlichem Schutz geben.
Gemeint dürfte damit vor allem eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz sein. Anders als Laschet in NRW sieht sich Söder in Bayern weiterhin mit besorgniserregenden Corona-Zahlen konfrontiert, dazu kommt die Nähe zum besonders unter dem Virus leidenden Italien. In der Runde der Ministerpräsidenten kommt Söder auch deshalb eine besondere Rolle am Mittwoch zu, weil er momentan der Runde der Länderchefs vorsitzt.
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff warnte vor einer "vorschnellen und generellen Aufhebung" der Maßnahmen. "Wir sind noch mitten in der Bekämpfung der Corona-Pandemie und müssen jeden Schritt kontrollieren und gegebenenfalls korrigieren können." Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisierte den Vorschlag, sobald wie möglich die Grundschulen wieder zu öffnen. "Das Schulsystem ist auf solche Herausforderungen nicht ausgerichtet", sagte der Linken-Mann dem SPIEGEL.
Die SPD-Ministerpräsidenten haben sich auf eine zurückhaltende Linie verständigt. "Wir brauchen gemeinsame Indikatoren, die in Relation zu den Lockerungen stehen", sagte die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer dem SPIEGEL. Dazu zählt sie unter anderem eine niedrige Rate der Neuansteckung, die Ausweitung von Tests und genügend Schutzausrüstung.
Die Indikatoren sollten bundeseinheitlich gelten, so Dreyer, die Maßnahmen, die sich daraus entwickeln, könnten aber unterschiedlich sein: "In Bayern mit seinen hohen Fallzahlen und der Nähe zu den Risikogebieten Italien und Österreich haben wir eine andere Lage als in Mecklenburg-Vorpommern, wo nur verhältnismäßig wenige Menschen erkrankt sind."
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller betonte, es gehe weiterhin darum, "Menschenleben zu schützen und die Krankenhäuser so aufzustellen, dass sie auf die Versorgung von Corona-Patienten gut vorbereitet sind". Dem Sender RBB sagte Müller, eine Lockerung der Ausgangsbeschränkungen sei frühestens ab dem 27. April realistisch.
Tatsächlich ist selbst für den Fall, dass sich Bund und Länder am Mittwoch auf erste Schritte aus dem Lockdown einigen, nicht gesagt, dass diese Schritte auch sofort umgesetzt werden können. Jedes Land muss anschließend mögliche Lockerungen für sich noch einmal prüfen und vorbereiten. "Dazu werden wir uns Zeit nehmen", sagte Müller.
-
Die Ratgeber
Am Ostermontag legte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein Papier mit Empfehlungen für eine schrittweise Lockerung der Ausgangsbeschränkungen vor. 26 Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen gehören der Arbeitsgruppe an, die unter anderem eine schnelle Wiedereröffnung von Schulen und eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln empfiehlt.
Das Robert Koch-Institut stellte sich am Dienstag hinter die Empfehlungen. Mit Ausnahme "kleiner Details" sehe sein Institut die Lage ähnlich, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Nur bei den Schulöffnungen ist das RKI anderer Auffassung. Laut Wieler macht es "epidemiologisch sehr viel Sinn", erst ältere Schüler wieder zu unterrichten, da diese die Abstandsregeln besser einhielten. Die Leopoldina hatte vorgeschlagen, zunächst Grundschule und die Sekundarstufe eins zu öffnen.