Corona in Washington: Der Tod vor Donald Trumps Haustür
Die Coronakrise hat die USA weiter fest im Griff. In der Hauptstadt Washington lässt sich im Detail studieren, wie das Virus vor allem die schwarze Bevölkerung trifft.
Jeden Tag das gleiche Ritual: US-Präsident Donald Trump hält im Weißen Haus seine Pressekonferenzen zur Coronakrise. Er versucht, Optimismus zu verbreiten: "Es gibt Licht am Ende des Tunnels", sagt er zum Beispiel. Dabei steigt die Zahl der Infektionen in Teilen des Landes weiter an.
Wenn der Präsident herausfinden wollte, wie es wirklich zugeht in der Krise, bräuchte er sich nur ins Auto zu setzen und über den Anacostia River auf die andere Seite der Stadt zu fahren, nach Southeast Washington.
Wenige Meilen vom Weißen Haus entfernt steht dort ein gigantischer Klotz aus Glas, das United Medical Center. Es ist Washingtons Armenkrankenhaus und das Epizentrum der Coronakrise in der amerikanischen Hauptstadt.
Die Szenerie vor der Klinik erinnert an einen Science-Fiction-Film. Auf einem Parkplatz können sich die Menschen aus den ärmeren Vierteln auf das Virus testen lassen. Soldaten der Nationalgarde in Tarnanzügen und mit kugelsicheren Westen bewachen die Einfahrt, im hinteren Teil des Geländes stehen mehrere gepanzerte Humvee-Militärtransporter, die die US-Armee üblicherweise in Kriegsgebieten wie Afghanistan oder dem Irak einsetzt. Sie sollen hier offenkundig für Ordnung sorgen und ein mögliches Chaos verhindern. Die Menschen kommen in Autos oder zu Fuß, um sich testen zu lassen. Die schweren Fälle werden sofort in die Klinik eingewiesen.
Eine geteilte Stadt
Bislang war die Hauptstadt noch nicht besonders stark betroffen, doch während manche andere Regionen in den USA den Höhepunkt der Krise wohl bereits überschritten haben, steigt die Zahl der Neuinfektionen in Washington weiter kontinuierlich an, der Höhepunkt wird von Experten im Juni erwartet.
Washington war schon immer eine Stadt, in der Amerikas Gegensätze besonders sichtbar werden: Arme, Reiche, Weiße, Schwarze leben hier in klar getrennten Wohnvierteln - und in unterschiedlichen Welten. In der Coronakrise wird dieser Kontrast auf drastische Weise erneut offengelegt. In Washington lässt sich wie unter einem Mikroskop studieren, auf welche Weise das Virus in Teilen der USA vor allem ärmere, schwarze Menschen trifft, während wohlhabende Weiße oft glimpflich davonzukommen scheinen.
Insgesamt gibt es in der Hauptstadtregion, zu der auch Teile von Maryland und Virginia gehören, aktuell gut 35.000 Infizierte. In der Stadt Washington direkt sind es nun etwas über 3500 Infizierte, mehr als die Hälfte davon sind schwarz. Von den 153 Toten, die bis Ende vergangener Woche in der 700.000-Einwohner-Stadt zu beklagen waren, waren gut 80 Prozent Afroamerikaner oder Afroamerikanerinnen. Ähnliche Trends mit weit größeren Zahlen waren in den vergangenen Wochen bereits in anderen US-Städten wie Chicago oder Detroit zu beobachten.
In den Washingtoner Stadtvierteln in Southeast, im Umkreis des United Medical Center, gibt es fast doppelt so viele Infektionen wie in den besseren nordwestlichen Stadtteilen. Bei der Todesrate ist der Kontrast noch auffälliger: Im sogenannten Ward 8 im Südosten der Stadt starben bis Ende vergangener Woche 33 Menschen. Im Ward 2 sind bisher erst vier Menschen gestorben. In diesem besseren Stadtteil liegen das Weiße Haus und das noble Georgetown, hier haben Prominente wie Trump-Tochter Ivanka oder Amazon-Boss Jeff Bezos ihre Residenzen.
Die Ursachen für die ungleiche Verteilung sind vielfältig. Nach Ansicht von Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser, einer Demokratin, zeigt diese Krise einmal mehr auf, mit welchen gesundheitlichen und sozialen Problemen viele Afroamerikaner infolge von jahrzehntelanger Benachteiligung in der Gesellschaft nach wie vor zu kämpfen hätten. "Rassismus und die Sklaverei" seien Wurzeln dieser Ungleichheiten, so Bowser.
Die Weißen sitzen im Homeoffice
Corona-Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes sind bei Afroamerikanern besonders häufig vertreten. Hinzu kommt, dass viele Schwarze jetzt in der Krise weiterhin zur Arbeit gehen müssen, weil ihre Existenz davon abhängt und weil sie zum Beispiel in den geöffneten Supermärkten arbeiten. Während die weiße Mittel- und Oberschicht in den Vororten der Hauptstadt im Homeoffice sitzt, halten die Schwarzen die Grundversorgung der Stadt am Laufen - und stecken sich dabei an.
Eine schlechtere Gesundheitsversorgung in mehrheitlich schwarzen Stadtteilen tut das Übrige. Der Kontrast könnte hier kaum größer sein: Die zahlreichen Krankenhäuser im wohlhabenden Westen der Stadt, wie das Sibley Memorial Hospital oder die Klinik der Georgetown-Universität, genießen einen tadellosen Ruf, hier wurden schon Präsidenten behandelt.
Das United Medical Center ist dagegen das einzige Klinikum im Osten der Stadt jenseits des Anacostia River. Seit Jahren gerät die Klinik wegen Verstößen gegen Hygieneregeln oder sonstige behördliche Auflagen in die Schlagzeilen. Zwischenzeitlich war auch die Schließung im Gespräch, diese wurde bislang verhindert, weil es in den ärmeren Stadtteilen sonst womöglich gar kein Krankenhaus mehr geben würde.
Angst vor dem Kollaps der Wirtschaft
Der Riss, der in dieser Krise durch die Stadt geht, entspricht auch den sonst üblichen Ungleichheiten. Zwischen dem Westen der Stadt und dem Südosten herrscht in fast jeder Disziplin ein großes Gefälle. Während im Westen (Ward 2 und 3) das durchschnittliche Haushaltseinkommen bei über 100.000 Dollar liegt, sind es im Ward 8 im Osten nur etwa 30.000 Dollar. Im Osten sterben Jahr für Jahr mehr Menschen durch Schusswaffen, es gibt insgesamt eine höhere Kriminalitätsrate, und die Bildungschancen sind schlechter.
Die wirtschaftliche Krise, die der Pandemie folgt, dürfte diese sozialen Ungleichgewichte erneut vertiefen. Das wäre doppelt bitter. Denn eigentlich hat sich die Hauptstadt gerade erst einigermaßen von den Folgen der Finanzkrise 2008 erholt. Die Stadtverwaltung konnte unter Bürgermeisterin Bowser einige soziale Verbesserungen durchsetzen, viel Geld wurde zum Beispiel in Schulen investiert.