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Corona-Krise: Ethiker warnen vor gelockerten Standards in der Forschung

24 апреля
03:52 2020

Selten waren Wissenschaftler einem solchen Zeitdruck ausgesetzt wie in der Coronakrise. Die Öffentlichkeit verlangt nach schnellen Antworten. Doch das birgt Gefahren.

In diesen Tagen stehen plötzlich Menschen im Rampenlicht, die sonst nur mit Fachaufsätzen und Lehrbüchern an die Öffentlichkeit gehen. Ob Virologen, Immunologen oder Rechtsmediziner: Für sie alle sind tägliche Updates, Politikergespräche und Pressekonferenzen keine Bestandteile ihres normalen Arbeitsalltags. Und sie sollten es auch nicht sein. Denn wann immer möglich, müssen Wissenschaftler ausgeruht prüfen, abwägen und debattieren können.

Doch genau diese Ruhe fehlt in Zeiten der globalen Krise. Plötzlich passiert etwas, das mit der viel beschworenen "guten wissenschaftlichen Praxis" bislang unvereinbar schien: Vorläufige Studienergebnisse werden an Journalisten durchgestochen, mit unkontrollierten Vorveröffentlichungen, sogenannten Preprints, wird Politik gemacht, und in der Impfstoffforschung beginnen kurzerhand Versuche am Menschen, ohne Tierversuche vorgeschaltet zu haben.

Diese Beschleunigung problematisieren jetzt zwei Ethiker aus den USA und Kanada in einer neuen Studie, die im renommierten Fachmagazin "Science" erschienen ist. Angesichts von aktuell fast 2000 registrierten Covid-19-Forschungsprojekten warnen sie mit Nachdruck davor, im internationalen Wettbewerb um die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen globale Standards zu missachten. In der Anfangsphase der Pandemie seien besonders viele schlecht konzipierte und voreingenommene Studien vorschnell publiziert worden. Und noch immer lasse sich die Forschung so stark vom öffentlichen Interesse leiten, dass die Gefahr falsch positiver Ergebnisse enorm hoch sei.

Die Krise erlaubt keine Nachlässigkeit

"Obwohl Krisen große logistische und praktische Herausforderungen darstellen, bleibt der moralische Auftrag der Forschung derselbe", schreiben Alex John London von der US-amerikanischen Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh und Jonathan Kimmelman von der McGill-Universität in Montreal. Gerade jetzt dürfe es nicht darum gehen, sich für weniger strenge Standards einzusetzen, vielmehr müssten sich die Forscher besser vernetzen, um die Qualität aufrechtzuerhalten: "Die Vorstellung, dass Krisen hinsichtlich der anspruchsvollen Risikobewertung von Medikamenten und Impfstoffen eine Ausnahme erlauben, ist falsch."

London und Kimmelman geben drei konkrete Empfehlungen, wie wissenschaftliche Standards trotz der Umstände gewahrt bleiben können:

  • Geldgeber sollten solchen Studien Priorität einräumen, in denen mehrere Behandlungsansätze gleichzeitig mit einer gemeinsamen statistischen Methodik getestet werden können.

  • Einzelne Forscher sollten dem Drang widerstehen, kleine Studien ohne Kontrollgruppe durchzuführen. Stattdessen sei die Teilnahme an größeren, sorgfältig koordinierten Studien sinnvoll.

  • Aufsichtsbehörden sollten Wissenschaftler ermutigen, an solchen Forschungsprojekten teilzunehmen, die strenge Standards erfüllen.

Dass die Qualität der Forschung unter dem gestiegenen Zeitdruck leidet, glaubt auch Thomas Hartung von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, der nicht an der Studie beteiligt war. Die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit hält er aber trotzdem für berechtigt: "Wir als Wissenschaftler können nicht Milliarden an Steuergeldern kassieren und uns dann in einer Krise in unseren Elfenbeinturm zurückziehen", sagt Hartung. Die Gesellschaft verlange berechtigterweise nach schnellen Antworten. "Alles in Ruhe tun, kommt sicher zu spät."

Hartung zeigt sich allerdings zuversichtlich, dass die mehrstufigen Kontrollmechanismen der Wissenschaftswelt nicht einfach auszuhebeln sind: "Auch wenn wir notgedrungen etwas schneller schießen, gibt es doch eine ganze Menge Sicherheitsschlösser." Konkret nennt er vier wichtige Hürden, die Studien nehmen müssen:

  • die Auswahl durch einen erfahrenen Geldgeber, der die Forschungsarbeit finanziert,

  • die Kontrolle durch Ethikkommissionen, die Studien genehmigen,

  • das Monitoring der durchführenden Ärzte und

  • die Publikation der Ergebnisse in Zeitschriften mit dem sogenannten Peer-Review-Verfahren, bei dem Fachkollegen die Arbeit bewerten.

Kompromisse seien in Krisenzeiten zwar nötig, meint Hartung. Aber: "Es wird sich rächen, wenn mit schlechter Qualität geforscht und kommuniziert wird." Ein Forscher, der sich für die schnelle Zusage von Fördermitteln feiere, komme nicht weit, wenn seine Studie zu keinen Ergebnissen führe oder später verrissen werde.

Schlechte Kommunikation kann Vertrauen zerstören

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt weist der Psychologe Malte Elson von der Ruhr-Universität Bochum hin: In der Coronakrise habe sich das Publikum für Forschungsergebnisse schlagartig vergrößert. Deshalb sei es besonders wichtig, wissenschaftliches Arbeiten mit seinen Besonderheiten und Einschränkungen nun auch Politikern und Bürgern nachvollziehbar zu erklären. "Andernfalls können sich ungewollt Missverständnisse und Fehlinterpretationen in hohem Tempo verbreiten", meint Elson.

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