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Corona-Krise in Bayern: Die fatale Liebe zum Starkbier

21 апреля
20:12 2020

Acht der zehn Landkreise mit den meisten Corona-Infizierten pro 100.000 Einwohner liegen in Bayern. Entscheidend dafür waren wohl auch Starkbierfeste. Hat Ministerpräsident Söder nicht zügig genug reagiert?

Es war eine Party, die viele Feiernde wohl so schnell nicht vergessen werden: Die Menschenmenge tobte an jenem Abend des 7. März beim Rosenheimer Starkbierfest in der Inntalhalle. Viele meist junge Besucher standen auf den Bierbänken oder in der Nähe der Bühne, sie tanzten, grölten und waren teils eng umschlungen. Eine Coverband spielte bekannte Hits. So zeigen es noch heute Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken.

Die Party fiel in eine Phase der Unsicherheit. Das Coronavirus hatte anderswo längst seinen Schrecken verbreitet, doch noch gab es in Deutschland keine Klarheit, wie man mit der Bedrohung stringent umgehen sollte. Die Leipziger Buchmesse etwa war abgesagt worden, doch der Fußballverein der Stadt spielte noch Tage später vor Publikum in der Champions League gegen Tottenham.

Auch im beschaulichen Südostoberbayern war die Welt zu jenem Zeitpunkt längst nicht mehr in Ordnung. Veranstalter sagten Info-Nachmittage und selbst ein kleineres Konzert mit Musik der Renaissance vorsichtshalber ab. Andere strichen Job- oder Wirtschaftsmessen - trotz enormer Kosten. Doch ein Starkbierfest absagen? Das hat schließlich Tradition. Bereits am Abend der Eröffnung am 6. März kochte die Stimmung in der Halle hoch, ein "Stage Diver" sprang in die Menschentraube vor der Bühne. "Vollgas! Was für eine Party", schrieb eine Band und freute sich über ihren Auftritt vor 1500 Zuschauern am Freitagabend.

Nach drei Tagen wurde das Starkbierfest dann doch abgebrochen – wegen der Corona-Pandemie. Drei Tage zu spät? Manche in der Region vermuten seit Wochen, dass die Treue zum Starkbier fatale Folgen für Rosenheim und das Umland hatte. Trug das Starkbierfest dazu bei, Rosenheim in einen der größten Corona-Hotspots der Republik zu verwandeln?

Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) werfen jedenfalls Fragen auf: Sowohl die Stadt als auch als der Landkreis Rosenheim gehören den RKI-Zahlen zufolge zu den zehn kreisfreien Städten und Landkreisen mit den pro Kopf bundesweit meisten gemeldeten Corona-Infizierten.

Vor dem Landkreis Rosenheim liegen in dem traurigen Ranking deutschlandweit nur drei andere bayerische Regionen. In allen drei haben nach Angaben von Behörden oder Virologen ein oder mitunter mehrere Starkbierfeste mutmaßlich eine wichtige Rolle gespielt, dass die Seuche dort so massiv um sich greifen konnte.

Auch darin könnte eine Erklärung für die besondere Betroffenheit Bayerns liegen: Acht von zehn Landkreisen und kreisfreien Städten mit den bundesweit pro Kopf höchsten Covid-19-Infektionszahlen sind im Freistaat. In allen acht fanden nach Recherchen des SPIEGEL noch im März Starkbierfeste statt – teils auch sehr große. Alle diese Landkreise liegen in Ostbayern.

Im Rosenheimer Landratsamt, wo das für die Region zuständige Gesundheitsamt sitzt, schließt man einen Zusammenhang für die eigene Region nicht aus. Doch man könne "die hohen Fallzahlen nicht nur an einer Veranstaltung oder einem Ereignis festmachen". So seien die ersten positiv auf Covid-19 Getesteten beim Skifahren in Südtirol und dort wohl auch bei Aprés-Ski-Feiern gewesen.

Auffällig ist: Etwa zehn bis zwölf Tage nach Abbruch des Starkbierfests am 8. März schnellten die Zahlen der gemeldeten Corona-Infizierten im Landkreis in die Höhe. "Es liege in der Natur einer Pandemie, dass zunächst für eine relativ lange Zeit die Fallzahlen auf niedrigem Niveau verharrten, heißt es dazu beim Gesundheitsamt. "Hierzu beigetragen hat auch, dass man bereits zwei Tage vor Symptombeginn ansteckend ist", sagte ein Sprecher. Man wolle aber über die Ursache nicht "spekulieren". Ein Sprecher der Stadt Rosenheim spricht ebenfalls von "Spekulationen". Er führt als mögliche Ursache Skiurlaube aus der Region in Tirol und Südtirol an.

Viele Todesfälle in Rosenheim

Doch das eine schließt das andere nicht aus. Beim RKI heißt es auf Anfrage: Die Zahl derjenigen, die sich in Deutschland im März angesteckt haben, sei vermutlich deshalb so hoch gewesen, "weil es einerseits Ereignisse mit vielen Übertragungen gab wie zum Beispiel Karneval, Starkbierfeste und andere Veranstaltungen und gleichzeitig viele infizierte Ski-Rückkehrer aus Italien und Österreich".

Das Gesundheitsamt Rosenheim räumt ein, dass man nicht alle Infektionsketten in der Region nachvollziehen könne. Eine mögliche Ursache für die hohen Fallzahlen sieht das Amt auch darin, dass in der Region viel getestet werde. Doch dies erklärt nicht die hohen Todeszahlen, die in Rosenheim vorliegen: Bis Dienstagmorgen waren 90 Todesfälle nach Corona-Infektionen registriert – im sechsmal so viele Einwohner zählenden und rund 50 Kilometer entfernten München waren es zu diesem Zeitpunkt 75.

Fakt ist: Auch in anderen bayerischen Regionen, in denen es große Starkbierfeste gab, sind die offiziellen Infizierten- und zum Großteil auch die Opferzahlen hoch. Besonders betroffen sind mehrere Kreise in der Oberpfalz. Und auf die Bevölkerungszahl gerechnet gibt es dem Landesamt für Gesundheit zufolge nirgendwo in Bayern so viele Erkrankte wie in diesem an der Grenze Tschechiens gelegenen Regierungsbezirk. Dort wurden noch Anfang März über ein Dutzend Starkbierfeste gefeiert – viele zwischen dem 6. und 8. März.

Welche Rolle spielt die Nähe zu Österreich und Italien?

So recht erklären können sich die meisten betroffenen acht bayerischen Landkreise und Städte die extrem hohen Infizierten-Zahlen auf Anfrage nicht. Manche sehen ein oder mehrere Starkbierfeste als Teil- oder sogar als eine Hauptursache. Keine der befragten Behörden in den acht Landkreisen und Städten schließt einen Zusammenhang aus.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte vor nicht einmal zwei Wochen der Nachrichtenagentur dpa, es sei der Nähe zu Österreich und Italien geschuldet, dass in Bayern die Zahl von nachgewiesenen Infektionen und Toten höher sei als in allen anderen Bundesländern.

Die Grenznähe ist zweifelsohne eine wichtige Ursache. Doch wie passt dazu, dass die acht bayerischen Landkreise und Städte unter den Top 10 alle in Ostbayern liegen? Selbst Skifahrerhochburgen nahe Österreich verzeichnen nicht im Ansatz so hohe Corona-bedingte Todesfälle wie diverse Regionen in Niederbayern oder der Oberpfalz.

Im Landkreis Neustadt an der Waldnaab gab es eine Vielzahl von Starkbierfesten. Redner gaben Witze zum besten, wie etwa, dass bei den Festbesuchern der Bierdurst wohl größer gewesen sei als die Angst vor dem Husten. Das Landratsamt in Neustadt sieht neben vielen Pendlern, Skiurlaubern in Tirol und Südtirol Starkbierfeste als eine mögliche Ursache für die Verbreitung. Ebenso eine Rolle könne die Nachbarschaft zu Tirschenreuth spielen - in dem Landkreis gilt ein großes Starkbierfest in Mitterteich als Hauptursache für die enorme Zahl an Erkrankten.

Professor Michael Hoelscher, Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum der Uni München, erläuterte bereits vor etwas mehr als zwei Wochen bei einer Pressekonferenz: In Heinsberg oder auch Tirschenreuth sei es aufgrund einzelner Ereignisse "wie zum Beispiel dem Starkbierfest zu massiven Corona-Ausbrüchen" gekommen.

Auch eine Sprecherin des Landratsamts Wunsiedel sagt: "Manche Menschen aus dem Landkreis Wunsiedel, die später an Covid-19 erkrankten, waren zuvor beim Starkbierfest in Mitterteich. Sie infizierten sich dort." Aber das Fest im Nachbarlandkreis sei nicht alleinverantwortlich für die hohe Zahl an Erkrankten. Über 30 Menschen starben im Kreis Wunsiedel bereits, pro Kopf gibt es dort so viele Infizierte wie nirgends in Deutschland – abgesehen von Tirschenreuth selbst.

"Die Schleuder für Viren"

Solche Feste seien absolute Risikoveranstaltungen, sagt der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasi dem SPIEGEL. Das zeigten alle Daten. "Es ist deshalb absolut plausibel, dass die hohen Zahlen in Regionen mit solchen Veranstaltungen auch mit örtlichen Starkbierfesten zusammenhängen." Vergangene Woche sagte Ministerpräsident Söder vor laufender Kamera: "Jeder weiß, dass der Après-Ski in Ischgl, der Karneval in Heinsberg oder die Starkbierfeste, auch bei uns in Tirschenreuth, die Schleuder für Viren waren."

In Tirschenreuth kam das nicht gut an. Landkreis und Stadt sehen das Fest von Mitterteich keinesfalls als alleinige Ursache für die extrem hohen Fallzahlen. Hätten sie gewarnt sein müssen? Viele Medien hatten bereits Anfang März über den Karneval als Virenschleuder von Heinsberg berichtet. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) diskutierte in der "heute"-Sendung vom 2. März mit Moderatorin Marietta Slomka darüber, ob bereits im Februar Karneval hätte abgesagt werden müssen. Die Moderatorin kritisierte, dass es zu diesem Zeitpunkt lokalen Behörden überlassen blieb, über Verbote zu entscheiden. Doch der Bund und Söders Bayern, das wegen seiner harten Linie von der eigenen Bevölkerung viel Lob bekam, unternahmen damals zunächst nichts gegen Großveranstaltungen oder Volksfeste.

Die örtliche Burschenschaft in Mitterteich, die das Starkbierfest veranstaltete, verließ sich eigenen Angaben zufolge denn auch auf die staatlichen Einschätzungen. Das Gesundheitsamt des Landkreises habe "absolut grünes Licht gegeben", sagt ein Sprecher der Burschenschaft. "Die Gefahr für den Landkreis wurde dort als sehr gering eingeschätzt". Dem Mann ist am Telefon anzuhören, dass er sich Vorwürfe macht. "Ich bin KfZ-Mechaniker - kein Mediziner oder gar Virologe."

"Massen-Schluckimpfung"

Man habe im Vorfeld nicht nachgedacht. Den Facebook-Post der Brauerei, die das Bier lieferte und ihren Gerstensaft bei Facebook als "ultimativen Schutz" gegen Corona anpries und zur "Massen-Schluckimpfung" einlud, habe man achtlos geteilt. Der Burschenschaftssprecher sagt zwar, dass weniger als die 1200 Menschen, von denen Zeitungen schrieben, zu dem Fest gekommen seien. Aber rückwirkend hätte man natürlich lieber abgesagt. Auch eine Sprecherin der Brauerei sagt, man habe die Situation damals falsch eingeschätzt.

Seit 125 Jahren hält die Burschenschaft die bayerischen Bräuche hoch – organisiert etwa Umzüge in festlicher Tracht, Nikolausbesuche oder Ostereierbemalen für Kinder. Immer wieder spendet der Verein Geld – etwa für die Jugendarbeit. "Wir machen das alles ehrenamtlich. Natürlich brauchen wir Einnahmen, deshalb macht man solche Feste", sagt der Sprecher. Bei einer Absage wäre die Burschenschaft auf enormen Kosten sitzen geblieben, sagt er.

Markus Söder und die Staatsregierung waren zuletzt gefeiert worden für ihr Krisenmanagement. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann übt nun jedoch massive Kritik: "Die Söder-Regierung hätte die Starkbierfeste früher schließen müssen. Das war grob fahrlässig!" Es handle sich um eine Tröpfcheninfektion. Verbote hätte man nicht allein den Kommunen überlassen dürfen. Natürlich sei nach Heinsberg klar gewesen, "welche fatalen Auswirkungen Massenveranstaltungen mit Alkohol haben können." Hartmann vermutet: "Die CSU wollte sich nicht unbeliebt machen. Gerade ihre Leute haben ja die Starkbierfeste für den Wahlkampf benutzt."

Bei vielen Starkbierfesten waren im laufenden Kommunalwahlkampf Parteien die Veranstalter - die bei weitem meisten gingen auf das Konto der CSU, manche aber etwa auch auf das der SPD, Freien Wähler oder der AfD. Bei einem Starkbierfest im Landkreis Altötting waren die Christsozialen Veranstalter. "In München steht ein Hofbräuhaus. Oans, zwoa, gsuffa", sang man dort am 7. März in die Kamera eines Fernsehteams. Man habe ein gutes Immunsystem, sagte ein Besucher. Und für Bundesinnenstaatssekretär Stefan Mayer (CSU) war damals noch klar: "Ziel muss es sein, dass Veranstaltungen wie hier ein örtliches Starkbierfest mit 100 oder 200 oder 300 Personen auch weiter stattfinden kann." Eine Absage habe damals nicht zur Debatte gestanden, sagte der Altöttiger CSU-Landrat Erwin Schneider rückblickend dem "BR": Auch die Schule sei noch eine Woche weitergegangen.

Der SPIEGEL fragte Ende vergangener Woche bei der Staatskanzlei sowie beim ebenfalls CSU-geführten Gesundheitsministerium nach, ob der Wahlkampf ein Grund für das nicht früher auf Landesebene erfolgte Verbot solcher Feste war und ob der Freistaat zumindest Großveranstaltungen mit Alkoholgenuss hätte früher verbieten müssen.

Am Samstag antwortete das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Die Kritik, der Freistaat Bayern habe zu zögerlich gehandelt, sei "nicht nachvollziehbar". Man habe "vielmehr stets konsequent und unmittelbar Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Ausbruchsgeschehens ergriffen und gehörte dabei zu den Vorreitern in Deutschland". Die Behörde verweist darauf, dass der Freistaat am 11. März Großveranstaltungen ab 1000 Teilnehmern per Allgemeinverfügung verboten hat – kleinere Feste blieben zunächst jedoch noch zulässig.

Zudem sagte der Sprecher: "Großen Einfluss auf die bayerischen Fallzahlen dürfte primär die Nähe zu Ländern wie Österreich und Italien und die dadurch hohe Zahl der Reiserückkehrer haben, insbesondere Skiurlauber aus den Faschingsferien." Doch auch Großveranstaltungen seien geeignet, "zur weiteren Ausbreitung des Infektionsgeschehens beizutragen".

Für Bayerns Linken-Chef Ates Gürpinar ist klar: "Der Ministerpräsident zauderte bis zur Wahl und ließ im Wahlkampf der CSU Starkbierfeste feiern." Söders Haus schwieg auf Anfrage. Am Dienstag sagte er dann bei einer Pressekonferenz zur Absage des Oktoberfests: "Ein Bierzelt lebt von der Nähe, davon, keinen Abstand zu halten." Er fügte hinzu: "Wir haben erlebt, dass der Apres-Ski in Ischgl, verschiedene Starkbierfeste beispielsweise oder auch Karnevalsveranstaltungen leider Viren-Drehscheiben waren."

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