Kohleminen in Südafrika: Das Recht zu atmen
Jedes Jahr sterben Tausende von Südafrikanern an den Folgen der Kohleverstromung. Die Corona-Pandemie verschärft die Gesundheitskrise.
Es ist einer der seltenen Tage, an denen Shawn keine Beschwerden hat. Heute brauche er das Ding nicht, sagt der 13-jährige Schüler, während er auf seinem Smartphone herumdaddelt. Das Ding, ein türkisgrüner Inhalator, liegt neben ihm auf dem Sofa. Shawn muss die Maske immer dann aufsetzen, wenn er an akuter Atemnot leidet. Eine schwere Allergie, ausgelöst durch Luftverschmutzung, hieß die erste Diagnose. "Dieses Problem hatte er schon als kleines Kind", sagt Shawns Vater Calvin Hlabangwane.
Der 32-jährige Bergarbeiter spielt eine Audiodatei ab, auf der die Atmung des schlafenden Sohnes zu hören ist; es sind rasselnde, schnarrende Geräusche, die die Eltern seit Jahren beunruhigen. In diesen Tagen wächst ihre Angst, dass er sich mit dem Coronavirus infizieren könnte. Denn Shawn ist durch seine Vorerkrankung besonders anfällig. Er gehört zu den mehr als 100.000 jungen Südafrikanern, die laut einer Studie der Umweltorganisation groundWork alljährlich an Bronchitis oder Asthma erkranken.
In seiner Region gebe es die meisten Fälle, sagt Calvin Hlabangwane. Er klingt resigniert, als müsse seine Familie chronische Leiden in Kauf nehmen, weil sie in Vosman wohnt, einem heruntergekommenen Township in Mpumalanga. In dieser Provinz liegt das Zentrum des südafrikanischen Kohlebergbaus, hier wird ein Großteil des Brennmaterials aus der Erde gewühlt und zur Stromgewinnung verfeuert.
Südafrika, der siebtgrößte Kohleproduzent der Welt, erzeugt nahezu 90 Prozent seiner Elektrizität aus Kohle und steht auf der globalen Rangliste des Kohlendioxid-Ausstoßes pro Kopf auf dem neunten Platz. Das wird sich auch in Zeiten des Klimawandels nicht so schnell ändern, denn die Regierung in Pretoria will die fossilen Energiereserven in den kommenden Jahrzehnten noch intensiver nutzen, um das Wirtschaftswachstum des Schwellenlandes anzutreiben. Die Kollateralschäden trägt die Bevölkerung in den Bergbaugebieten.
Die Studie von groundWork fand heraus, dass in Südafrika jedes Jahr mehr als 2.200 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke sterben, häufigste Todesursachen seien Infektionen der unteren Atemwege, Lungenentzündungen, Krebs, Herzerkankungen.
In Emalahleni, einer Bergbaustadt mit 400.000 Einwohnern, zu der auch die Township Vosman gehört, ist die Lage besonders dramatisch. Emalahleni bedeutet in der Sprache isiZulu "Ort der Kohle", früher, in den Zeiten der Apartheid, hieß die Stadt Witbank. Der Name hat sich geändert, aber die Mehrheit der überwiegend schwarzen Einwohner ist so arm wie eh und je. Die Jugendarbeitslosigkeit wird auf 50 Prozent geschätzt, viele Haushalte haben keinen Trinkwasseranschluss, die medizinische Versorgung ist miserabel.
Zurzeit kursiert in den sozialen Medien eine Luftaufnahme der Stadt. Darunter steht: "Witbank in Quarantäne. Aber nicht wegen des Coronavirus, sondern weil es ein Scheißloch ist."
Emalahleni wird regelrecht eingekesselt durch Kohlezechen, Kraftwerken und Metallschmelzen, neben den Siedlungen türmen sich die schwarzen Wände der Abraumhalden auf. Stromtrassen durchschneiden die Landschaft, Kolonnen von Schwertransportern donnern unablässig zwischen den Minen und den Kraftwerken hin und her. Saure Grubenabwässer verseuchen den Boden, zahlreiche Flüsse und Seen sind durch Schwermetalle vergiftet. Über den Townships liegt ein grauer Dunstschleier, nachts ist der Sternenhimmel kaum noch zu sehen, man hört unablässig das dumpfe Grollen der Sprengungen in den Minen.
Allein in Mpumalanga betreibt der staatliche Strommonopolist Eskom zwölf Kraftwerke, landesweit verbrennen seine Meiler 120 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr und stoßen dabei rund 200 Milliarden Liter Rauchgase aus.
Die Bewohner von Vosman schlafen bei geschlossenen Fenstern, dennoch dringt toxischer Feinstaub in ihre Hütten ein, und jeden Morgen sind die Dächer und Straßen von einer pechschwarzen Schmierschicht überzogen. "Die Ärzte sagen, dass mein Sohn wegen der schlechten Luft krank wurde", sagt Calvin Hlabangwane, "aber ich bin mir nicht sicher." Er will die Kohleindustrie nicht anklagen, weil er als Maschinist einen festen Job in einem Bergwerk hat. Er hat gerade sein kleines Haus ausgebaut und konnte sich sogar einen Generator leisten, um die ständigen Stromausfälle zu überbrücken. Vor der Tür steht sein ganzer Stolz, ein Gebrauchtwagen mit Kunstledersitzen.
"Alle, die Arbeit haben, befinden sich in diesem Dilemma. Niemand beißt in die Hand, die ihn füttert", sagt Promise Mabilo. Die 44-jährige Hausfrau aus Vosman wurde zur Ökoaktivistin, weil auch ihr Sohn Lifa krank ist und seit seinem achten Lebensjahr nicht mehr ohne Asthmaspray auskommt. Mabilo sammelt für die Umweltorganisation Vukani Daten in den Townships. Sie fasst die Ergebnisse der Befragungen mit zwei Worten zusammen: "Coal kills". Kohle tötet.
Auf ihrem Handy hat Mabilo ein Foto gespeichert, das sie bei einer Demo vor dem Brandenburger Tor in Berlin zeigt. "Unsere Protestbewegungen sind weltweit vernetzt, wir müssen überall gegen den Kohlewahnsinn kämpfen. Aber ich glaube, nirgendwo ist es so schlimm wie bei uns." Ein Report von Greenpeace bestätigt ihre Vermutung: Im Herbst 2018 ergab die Auswertung vergleichender Satellitendaten, dass keine andere Region der Welt stärker durch Stickstoffdioxide belastet wird.
Viele Menschen in Mpumalanga würden ahnen, dass sie langsam vergiftet werden, sagt Mabilo. "Aber die meisten wissen nicht, wie sie sich dagegen wehren sollen." Nun kommt auch noch die Coronakrise auf die Region zu. An medizinisch unterversorgten Orten wie Emalahleni könnte sie ein Inferno auslösen.
Das Bezirkskrankenhaus im Stadtzentrum ist auf die Pandemie nicht vorbereitet und schon jetzt hoffnungslos überlastet. Jeden Tag drängen sich Hunderte Patienten in den Korridoren, überwiegend kranke Mütter und Kinder. Sie klagen über brennende Augen, entzündete Nebenhöhlen, ständigen Kopfschmerz. "Gerade jetzt bräuchten wir viel mehr Ressourcen, um die Zunahme von chronischen Lungenerkrankungen einzudämmen", sagt Mohamed Khan, 55, ein leitender Arzt, der seit 13 Jahren in der Klinik arbeitet. Er kommt gerade aus einer Krisensitzung mit der Stadtverwaltung; sein Krankenhaus hat seit einer Woche kein Wasser mehr. "So schlimm war die Lage noch nie. Momentan können wir nicht mal den OP benutzen."
Doch auch in Corona-Zeiten geht die Kohleschlacht unvermindert weiter. Die Regierung zeige wenig Interesse an der Förderung erneuerbarer Energien und setze weiterhin auf Eskom, den staatlichen Stromversorger, sagt die Aktivistin Promise Mabila. Und sie sagt auch, warum das so ist: "Weil sich unsere korrupten Politiker an Eskom bereichern können."
Das Unternehmen wird seit Jahren geplündert und hat einen riesigen Schuldenberg angehäuft, dennoch baut es gerade zwei neue Großkraftwerke in Mpumalanga. Eines entsteht in Kusile, vierzig Kilometer von Emalahleni entfernt: Das viertgrößte Kraftwerk der Welt, ein gigantisches Ungetüm, das 4.800 Megawatt Strom erzeugen soll. Am Bau der beiden Supermeiler sind angeblich 19 deutsche Firmen beteiligt. Während in Deutschland der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen wurde, lassen sich in der Kaprepublik offenbar noch gute Profite mit Dreckschleudern machen.
Das Umweltministerium in der Hauptstadt Pretoria preist die neuen Mammutanlagen als Beitrag zum Klimaschutz an. Denn sie sollen mit moderner Rauchgasentschwefelungstechnik ausgestattet werden und alte Dreckschleudern ersetzen. Mabilo hält das für Augenwischerei: "Solche Maßnahmen werden nicht verhindern, dass mehr Menschen in Mpumalanga an den Folgen der Luftverschmutzung sterben werden. Auch wir brauchen endlich eine Energiewende."