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Großbritannien in der Corona-Krise: Verspätete Opfer

16 апреля
20:51 2020

In ganz Europa sind Bewohner von Pflegeheimen durch das Coronavirus besonders gefährdet. Mit einer verblüffenden Ausnahme: Großbritannien. Doch die offiziellen Zahlen trügen und verschleiern jahrzehntelange Versäumnisse.

Rund die Hälfte aller Corona-Opfer in Spanien, Frankreich und Belgien starb zuletzt in Pflegeeinrichtungen. Dort leben häufig ältere Hochrisikopatienten auf engem Raum zusammen.

In Großbritannien vermeldete das Amt für Statistik hingegen, dass lediglich 22 von 539 Covid-19-Todesfällen in der Woche bis zum 27. März auf Pflegeeinrichtungen entfallen seien, das wären rund vier Prozent aller gemeldeten Fälle.

Diese Zahl dürfte allerdings weniger eine gute Nachricht sein, als das Ergebnis eines mangelhaften Berichtwesens. "Care England", der Branchenverband der Pflegeeinrichtungen, schätzte die Zahl der Corona-Toten seit Ausbruch der Pandemie in den Einrichtungen auf knapp 1000.

"Die Toten mögen noch nicht in die Tausenden gehen, aber dahin kommen wir noch. Wir brauchen eine saubere Analyse der Todesraten in Pflegeeinrichtungen, und die Regierung sollte diese Daten erheben", zitierte der britische "Guardian" Martin Green, Hauptgeschäftsführer von "Care UK", Großbritanniens größtem Betreiber.

Der Grund für die offizielle Schönfärberei ist so trivial wie verhängnisvoll: In Großbritannien sind das Gesundheitswesen NHS (National Health Service) und das Pflegewesen als Teil der Sozialfürsorge zwei komplett getrennte Systeme – die auch ihre Verluste unterschiedlich melden. Die Regierung bezog sich bislang ausschließlich auf die Zahlen aus Krankenhäusern des NHS.

Die Sozialfürsorge, zu der die Pflege gehört, ist ein Netzwerk aus rund 30.000 Anbietern in öffentlicher, privater oder gemeinnütziger Hand und wird von 152 kommunalen Verwaltungen gemanagt.

  • Im Gegensatz zu den täglichen Berichten der Krankenhäuser melden sie nach einem Verfahren, das zu einer Verzögerung von 12 bis 17 Tagen führen kann.

  • Nachträglich zeigte sich etwa, dass eine vom Gesundheitsministerium am 3. April veröffentlichte Zahl um 52 Prozent höher hätte sein müssen.

Rückwirkend werden die Statistiken zwar nach oben korrigiert – in den Lageberichten der Regierung werden sie aber wohl auch künftig nicht korrekt auftauchen können. Der konsequente Verweis auf zu niedrige Zahlen lässt daran zweifeln, ob die zuständigen Minister und Berater der Regierung die Lage in den Pflegeeinrichtungen ernst genug nehmen.

Chris Whitty, der oberste medizinische Berater der britischen Regierung, sagte am Dienstag, das Virus sei in knapp über neun Prozent der Pflegeeinrichtungen ausgebrochen. Die Branche selbst schätzt laut britischen Medienberichten, dass bereits etwa die Hälfte ihrer Einrichtungen mit rund 400.000 Patienten betroffen ist.

Um die Coronakrise zu bewältigen, erklärte die britische Regierung die Stärkung des NHS zur absoluten Priorität – von den Pflegeeinrichtungen war hingegen selten die Rede. Experten sehen darin das Resultat einer jahrzehntelangen schlechten Abstimmung der beiden Mega-Systeme:

  • Das Gesundheitssystem NHS ist mit 1,2 Millionen Angestellten Europas größter Arbeitgeber, der Sozialdienst mit 1,1 Millionen fast ebenso groß.

  • Beide gelten als chronisch unterfinanziert und mit 100.000 unbesetzten Stellen im NHS und 110.000 in den Sozialdiensten auch personell unterbesetzt.

Doch während das NHS das Herzstück des britischen Gesundheitssystems ist, kamen die Sozialdienste in den Appellen an die Nation bislang kaum vor.

Der Labour-Abgeordnete Peter Kyle kritisierte unlängst die mangelnde Aufmerksamkeit der Regierung. "Für den Rest der Krise sollte die Regierung einen speziellen Minister für Sozialfürsorge im Kabinett benennen", schrieb er auf Twitter.

Gerichtet waren diese Worte an Matt Hancock. Der sei zwar "Minister für Gesundheit und Sozialfürsorge", schrieb Oppositionspolitiker Kyle, habe aber "in keiner seiner Marathon-Pressekonferenzen die Pflegeeinrichtungen oder die Sozialfürsorge erwähnt".

"Es ist tragisch", sagt Laura Schlepper, Wissenschaftlerin am britischen Think Tank "Nuffield Trust", dem SPIEGEL. "Wir gehen in diese Coronakrise mit einem System, von dem wir schon lange wissen, dass es eine Reform braucht." Für das Ausbleiben von umfassenden Reformen gibt es verschiedene Gründe.

Die Bevorzugung des NHS bei der Verteilung von Steuergeldern ist einer davon. Hinzukommt: "Es gibt einen eklatanten Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung", so Schlepper. "Der Bedarf an den Leistungen des NHS ist oft akut – mit der Pflege beschäftigen sich viele Menschen weniger."

Seit mehr als 20 Jahren haben Tory- wie Labour-Regierungen über Reformpläne diskutiert. Ohne Erfolg. Das Ergebnis: "Das Vereinigte Königreich steht da, wo Deutschland in den Neunzigerjahren stand, bevor unter Norbert Blüm die Soziale Pflegeversicherung eingeführt wurde", sagt Schlepper.

Hierzulande wurde die Abgabe zur Finanzierung der Pflege mit überparteilichem Konsens 1994 beschlossen, nachdem der öffentliche Druck zu groß geworden war, besonders durch Kommunen, die als Versorger einspringen mussten.

Am Mittwoch kündigte Großbritanniens Gesundheitsminister Hancock an, in den Pflegeeinrichtungen Tests für alle Bewohner und Angestellten mit Covid-19-Symptomen bereitstellen zu wollen, sobald die Kapazitäten das zuließen. Auch wenn die Coronakrise die tatsächliche Reform der Sozialdienste bislang verhindert hat, könnte die Pandemie letztendlich eine Chance sein.

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