Corona: Die Grünen setzen auf Wiederaufschwung nach der Krise
Markiert Corona das Ende des grünen Höhenflugs? In der Krise stellen sich die Menschen hinter die Regierung, die Union eilt in Umfragen davon. Noch geben sich die Grünen gelassen - und setzen auf den Wiederaufschwung.
Es ist erst ein paar Wochen her, da schien es, als könnten die Grünen der Union sogar das Kanzleramt streitig machen. In manchen Umfragen lagen sie gleichauf mit CDU und CSU, in anderen zumindest in Schlagdistanz. Platz eins war in Reichweite.
Und jetzt? Die Coronakrise hat die politischen Kräfteverhältnisse einstweilen wieder zurechtgerüttelt. Die Union profitiert am meisten, einige Meinungsforscher sehen sie schon bei 37 oder 38 Prozent der Stimmen. Auf solche Werte kamen CDU und CSU das letzte Mal im Sommer vor der Bundestagswahl 2017.
Die Grünen liegen weit dahinter - manche Institute taxieren die Partei gleichauf mit den schon verloren geglaubten Sozialdemokraten. Weniger als 20 Prozent - nach Monaten des Höhenflugs ist das für die Grünen eine beinahe vergessene Erfahrung.
Ob sie sich Sorgen machen? Anruf bei Michael Kellner, dem bundespolitischen Geschäftsführer der Partei: "Wir haben unsere Politik vor der Coronakrise nicht nach Umfragen ausgerichtet und tun es auch jetzt nicht. Das ist nicht unser Selbstverständnis, wie wir Politik machen", sagt er, als sei es ungehörig, ihn in diesen Zeiten überhaupt nach etwas so Banalem wie Umfragewerten zu fragen.
Die Stimmung in der Partei derzeit: Es gibt gerade einfach Wichtigeres. Und überhaupt hält man Umfragen aktuell für nicht besonders aussagekräftig. Der "taz" sagte Grünenchefin Annalena Baerbock, es sei nur natürlich und nachvollziehbar, dass sich viele Menschen in so einer Krise hinter der Regierung versammelten.
Thema erledigt? Nicht ganz, denn allen anders lautenden, öffentlichen Bekundungen zum Trotz, ist den Grünen die politische Stimmung in der Bevölkerung nicht egal. Sie kann ihnen nicht egal sein. Zu gut fühlte sich die neue Stärke an, zu vielversprechend waren die Perspektiven. Die Grünen wollen schließlich regieren.
Aber in dieser Ausnahmesituation durchzudringen ist eben nicht ganz einfach, diese Erfahrung machen auch die anderen Oppositionsparteien. "Gerade Grüne und FDP handeln in der Krise sehr zurückhaltend, auch weil sich nicht allzu viele Alternativen aufdrängen, die sie anbieten könnten", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder.
Tatsächlich gaben sich gerade die Grünen zu Beginn der Krise so staatstragend wie möglich. Aus gutem Grund: "Wir sind eben nicht nur Opposition. Wir regieren in elf Bundesländern und vielen Kommunen", sagte Parteichef Robert Habeck.
Die Kritik der Grünen an der Regierung wird lauter
Seit Kurzem aber lässt sich beobachten, wie aus der grünen Quasi-Regierungspartei wieder eine Partei der Opposition wird. "Es war richtig, zum Höhepunkt der Krise staatstragend zu agieren", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. "Doch jetzt kommt die Phase, in der wir auch kritisch um die richtigen Wege der Krisenbewältigung streiten müssen."
Einige Beispiele:
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Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem Armutszeugnis, wie die Bundesregierung eine solidarische Lösung bei der Diskussion um sogenannte Corona-Bonds blockiere. "Mit dieser ideologischen Engstirnigkeit gefährden Union und SPD den europäischen Zusammenhalt und schaden unserer eigenen deutschen Industrie."
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Parteichefin Baerbock kritisierte die Aufnahme von zunächst nur 50 Kindern aus dem griechischen Flüchtlingscamp Moria. Das sei ein absolutes Unding, sagte sie dem Fernsehsender n-tv, die Kinder lebten im Dreck, seien krank und apathisch.
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Habeck forderte ein riesiges Konjunkturprogramm, 500 Milliarden Euro, verteilt auf zehn Jahre. Die Forderung beruht auf einem Wirtschaftskonzept der Grünen, das noch in Arbeit ist. Grundsätzlich sollen die staatlichen Hilfen an Nachhaltigkeitskonzepte geknüpft werden, damit die Wirtschaft möglichst schnell klimaneutral wird.
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Zudem haben die Grünen mehrere Papiere vorgelegt, mit denen sie die Regierung vor sich hertreiben wollen: Das Kurzarbeitergeld soll für Mindestlohnverdiener auf 90 Prozent des Nettoeinkommens aufgestockt werden. Ärzte und Pflegekräfte sollen eine Sofortprämie von 1500 Euro erhalten. Kinder aus bedürftigen Familien sollen einen Krisenzuschlag von 60 bekommen - weil unter anderem das warme Mittagessen in der Schule ausfällt. Die Regierung soll kurzfristig zusätzlich zwei Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitstellen. Die Schuldenobergrenze für die Deutsche Bahn wollen sie aufheben.
Klingt nach klassischer Oppositionsarbeit.