Corona in den USA: Wie Rechtsextreme die Krise ausnutzen
Panik stiften, die Gesellschaft spalten, die Wirtschaftskrise zum Rekrutieren nutzen: Rechtsextreme Gruppen in den USA wollen während der Corona-Pandemie ihre Agenda vorantreiben.
Ungewissheit, Isolation, Angst: Die Corona-Pandemie stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Sie ist nach Einschätzung von Experten und Behördenvertretern in den USA für rechtsextreme Gruppen aber auch eine Gelegenheit, um Verschwörungstheorien zu verbreiten, Chaos zu säen und zu Gewalttaten aufzurufen.
"Viele von ihnen sehen die USA derzeit in einer Lage, in der das Vertrauen in den Staat abnimmt, hinzu kommt der große wirtschaftliche Abschwung", sagt Joshua Fisher-Birch vom Counter Extremism Project (CEP) dem SPIEGEL.
Die Organisation, Ende 2014 vom früheren US-Senator Joe Lieberman sowie Ex-Regierungsvertretern und Diplomaten gegründet, hat sich der Bekämpfung extremistischer Ideologien verschrieben: vom radikalen Islamismus bis hin zu Neonazi-Gruppen.
Fisher-Birch beobachtet Kanäle und Gruppenchats im Messengerdienst Telegram. Diese werden unter anderem von rechtsextremen Gruppen genutzt, welche die moderne amerikanische Gesellschaft dem Ende nahe wähnen, ihren Zusammenbruch beschleunigen und an ihrer Stelle einen weißen Ehtno-Staat errichten wollen.
Ein Mittel, das sie nutzen, um diesen Prozess zu beschleunigen, sind Verschwörungstheorien: Zum Teil würden Chinesen, Amerikaner mit chinesischen Wurzeln oder Asiaten im Allgemeinen für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht, zum Teil Juden oder der Staat Israel, sagt Fisher-Birch.
Das Ziel dieser Art von Hetze: in der Coronakrise Panik stiften. In einem rechtsextremen Kanal mit knapp 1400 Mitgliedern wird das Virus als Teil eines jüdischen Komplotts bezeichnet, das Weiße dazu bringen solle, sich zu Hause einzuschließen, während die Regierung sie entrechte.
Es wird unter anderem dazu aufgefordert in die Öffentlichkeit zu gehen, selbst wenn man krank sei. Andere Kanäle rufen dazu auf, die Tätigkeit der Nationalgarde zu stören und mit kleinen, selbstgebauten Sprengkörpern für Panik zu sorgen. Auch die Wirtschaftskrise, das zeigen andere Posts, wird als Chance gesehen, um Anhänger zu rekrutieren.
Seitdem soziale Medien wie Facebook und Twitter sowie Googles Videoplattform YouTube verstärkt gegen Hetze und Extremismus vorgingen, sagt Fisher-Birch, habe die Bedeutung von Telegram mit seinen Kanälen und Chatgruppen zugenommen.
Auch hier könne man viele Nutzer erreichen. Fisher-Birch beobachtet nach eigenen Angaben rund 100 Telegram-Kanäle, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind. Die größten davon hätten zwischen 3000 und 5000 Mitglieder, kleinere 200 bis 300.
Die Vorgänge, die Fisher-Birch und andere Beobachter verfolgen, haben auch die Behörden auf dem Schirm. Einem Bericht des Senders ABC zufolge versandte das New Yorker Büro des FBI im März Warnungen an örtliche Polizeibehörden. Demnach riefen rechtsextreme Gruppen Mitglieder, die sich mit dem Virus infizieren sollten, dazu auf, das Coronavirus unter Polizisten und Juden zu verbreiten: "durch Körperflüssigkeiten und persönliche Interaktionen".
Auch das Southern Poverty Law Center warnte Ende März, dass Rassisten und Rechtsextremisten sich durch die Pandemie in ihrem Glauben gestärkt fühlten, die moderne Gesellschaft stehe kurz vor dem Kollaps. Sie hofften, dass die Regierung das Virus nicht unter Kontrolle bekomme, weitere Teile der Bevölkerung dadurch radikalisiert würden und sie selbst dieses Chaos ausnutzen könnten, heißt es in einer Mitteilung der Organisation, die sich dem Schutz von Bürgerrechten und dem Kampf gegen Rassismus verschrieben hat.
Ein ähnliches Weltbild scheint einen Mann im US-Bundesstaat Missouri motiviert zu haben, der Ende März getötet wurde. Die Schüsse wurden abgefeuert, als FBI-Beamte versuchten, ihn zu verhaften. Der 36-jährige Timothy Wilson plante laut der Bundespolizei einen Bombenanschlag auf ein Krankenhaus.