Corona-Evakuierung von Geschäftsreisenden: «Wir holen die Leute da raus»
Gestrandete Urlauber holt das Auswärtige Amt zurück, Ingenieure und Manager wenden sich an private Sicherheitsfirmen. Wie man Evakuierungen aus den entlegensten Gebieten der Welt organisiert, erklärt Sicherheitsexperte Christoph Eichel.
SPIEGEL: Herr Eichel, wie hat sich Ihre Arbeit durch die Covid-19-Pandemie verändert?
Eichel: Eigentlich beraten wir hauptsächlich präventiv. Wir unterstützen multinationale Unternehmen und exponierte Einzelpersonen beim Risiko- und Krisenmanagement. Wir bieten zum Beispiel Sicherheitstrainings für Arbeitskräfte, die ins Ausland entsandt werden. Wir analysieren die Sicherheitslage in bestimmten Ländern, managen die Sicherheit bei Infrastrukturgroßprojekten und helfen beim Objekt- und Personenschutz. Doch seit dem Ausbruch der Pandemie wollen die Unternehmen ihre Leute evakuieren, und wir holen sie da raus – zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
SPIEGEL: Herr Eichel, war eine Pandemie Teil Ihrer Risikoanalyse?
Eichel: Der Schwerpunkt unserer Beratung liegt beim Schutz gegen kriminelle Angriffe. Wir helfen zum Beispiel Unternehmen, wenn sie in einem Schwellenland eine Großbaustelle absichern wollen. Oder wir beraten Ingenieure, wie sie sicher durch Konfliktgebiete reisen. Unser Hauptgeschäft sind Bedrohungen, Erpressungen, willkürliche Festnahmen oder Entführungen. Wir haben auch Erfahrungen im Umgang mit Naturkatastrophen. Spätestens seit dem ersten Sars-Ausbruch 2002/2003 oder der Ebolakrise 2014/2015 sind Pandemien fester Bestandteil von Krisenmanagementplänen.
SPIEGEL: Haben Sie Mitarbeiter mit medizinischer Expertise?
Eichel: Meine Leute haben meist einen militärischen oder polizeilichen Hintergrund. Ich war zum Beispiel Offizier bei der Bundeswehr und habe dann einige Jahre als Diplomat gearbeitet, unter anderem an der Außenstelle der Deutschen Botschaft in Kunduz, Afghanistan. Medizinische Expertise holen wir uns von außen. Über Kooperationen bieten wir Geschäftsreisenden auch Schutz für ihre Gesundheit, und wir haben weltweit Zugang zu international anerkannten Ärzten und Krankenhäusern.
SPIEGEL: Warum kann sich nicht das Auswärtige Amt um die Rückführung von Repräsentanten multinationaler Konzerne kümmern?
Eichel: Das Auswärtige Amt hat genug damit zu tun, die rund 200.000 Urlauber aus dem Ausland zurückzuholen. Außerdem ist es nur für deutsche Staatsbürger zuständig. Wir kümmern uns um Entsandte multinationaler Unternehmen. Das sind Einzelpersonen nicht nur deutscher Nationalität, die teilweise in sehr entlegenen Gebieten feststecken. Die Betreuung und Evakuierung ist sehr aufwendig. Diese Leute gehen ja schon ein gewisses Risiko ein, wenn sie ins Ausland gehen. Dieses Risiko sichert nicht der Staat ab, dafür wenden sich die Unternehmen an uns.
SPIEGEL: Können Sie Beispiele nennen?
Eichel: Ich kenne mich zum Beispiel sehr gut in Kolumbien aus. Die Bundesregierung organisiert Flüge aus der Hauptstadt Bogotá. Aber unsere Kunden sitzen oft in schwer zugänglichen Gebieten, zum Beispiel im Kaffeedreieck an den Westausläufern der Anden, im Amazonasgebiet oder an der Karibikküste. Der Transport in die Hauptstadt ist sehr schwierig. Es gibt keine Inlandsflüge mehr, auch Busse fahren nicht, das Militär hat Checkpoints errichtet. Die medizinische Versorgung entspricht nicht dem westlichen Standard. Dies gilt für viele weitere Länder in Lateinamerika oder auch Afrika. Viele Menschen möchten allein schon aus Angst vor Versorgungsengpässen das Land verlassen. Auch können Europäer im Ausland Opfer von Anfeindungen werden, da sie womöglich als Überbringer des Virus gesehen werden.
SPIEGEL: Wie bringen Sie die Leute außer Landes?
Eichel: Wir haben in den Ländern qualifizierte Vertragspartner mit ähnlichem Sicherheitsbackground wie wir, außerdem mit profunden Orts- und Sprachkenntnissen, und vor allem: mit guten Verbindungen zu Behörden und Regierungen. Die kümmern sich um Sondergenehmigungen. Wir haben das gerade in Argentinien erfolgreich gemacht: Eine Person saß in Cordoba fest, der Flieger nach Europa ging aber aus der Hauptstadt Buenos Aires. Aber manchmal dauert der Landtransport so lange, dass die Ausreise schwierig wird, es gibt ja kaum noch kommerzielle Flüge.
SPIEGEL: Wie lösen Sie dieses Problem?
Eichel: Wenn viel Wasser dazwischen ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir chartern ein Flugzeug, aber das ist extrem teuer. Oder wir versuchen, über den Seeweg zu evakuieren. Dafür reden wir mit uns bekannten Reedereien, ob die ein Schiff haben, das demnächst dort vorbeikommt, wo unser Kunde abgeholt werden kann. Da ist dann die Frage, ob die in der derzeitigen Pandemiesituation überhaupt einen Fremden auf dem Schiff haben wollen. Und so eine Schiffsfahrt über den Atlantik ist ein Abenteuer.
SPIEGEL: Gibt es auch Fälle, wo eine Evakuierung nicht möglich ist?
Eichel: Es kann passieren, dass unsere Kunden gar nicht mehr rauskommen. Die Situation haben wir zum Beispiel aktuell in Nigeria. Dort wurde eine komplette Ausgangssperre verhängt und die dortigen Sicherheitskräfte verhalten sich teilweise sehr robust.
SPIEGEL: Das heißt, sie haben den Finger schnell am Abzug?
Eichel: Auf jeden Fall will man nicht, dass sich dort eine Person oder eine Gruppe bewegt. In solch einem Fall ist es das Beste, wenn sich die betroffene Person einigelt. Wir kümmern uns dann mit unseren Partnern um die Versorgung und die Sicherheit.
SPIEGEL: Steigt in solch einer Situation das Risiko einer Entführung?
Eichel: In Nigeria sind Sie latent einem Entführungsrisiko ausgesetzt. Wir sind uns dessen sehr bewusst und berücksichtigen das bei unseren Maßnahmen.
SPIEGEL: Arbeiten Sie mit den deutschen Auslandsvertretungen zusammen, wenn es zum Beispiel um Passierscheine geht?
Eichel: Die Botschaften und Konsulate sind derzeit sehr stark in Beschlag, wir versuchen es grundsätzlich über unsere eigenen Partner. Das funktioniert meistens zügiger über den kurzen Dienstweg. Wo immer es sinnvoll ist, fragen wir aber die jeweiligen Botschaften ab oder bieten auch unsererseits Mitfahrgelegenheiten an.
SPIEGEL: Wie viele Personen haben Sie seit dem Corona-Ausbruch bereits zurückgebracht?
Eichel: Bislang haben wir gut zwei Dutzend Personen individuell helfen können. Wir sind derzeit stark in Lateinamerika und Afrika eingebunden. Darunter sind Argentinien, Kolumbien, Uganda und Nigeria. Aufgrund der Restriktionen in anderen Ländern möchte ich diese nicht nennen, um nicht deren offizielle Haltung zu konterkarieren. Grundsätzlich sind wir aber weltweit einsatzbereit.
SPIEGEL: Was kostet so eine Rückführung?
Eichel: Das hängt davon ab, was für einen Rahmenvertrag das Unternehmen mit uns abgeschlossen hat. In manchen Verträgen sind die Kosten für Evakuierungen enthalten, in manchen nicht. Man kann das Risiko, dass man in einer Krise evakuiert werden muss, auch versichern. So bietet zum Beispiel der Haftpflichtverband der Deutschen Industrie HDI eine Evakuierungsversicherung an.