Zwölf Kinder als Chefsache
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn schlug vor, unbegleitete Jugendliche aus griechischen Lagern in Europa zu verteilen. Nun kommen die ersten Kinder in seinem Land an - Deutschland könnten seine Erfahrungen nutzen.
Am 13. März hatte Jean Asselborn eine Idee. Wie wäre es, sagte Luxemburgs Außenminister, der auch für Migration zuständig ist, wenn jedes EU-Mitgliedsland
unbegleitete Flüchtlingskinder aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufnehmen würde?
Die Berichte über die verheerenden Lebensumstände in den griechischen Camps waren bekannt. Und nun, da die Gefahr durch das Coronavirus langsam in den Regierungszentralen verstanden wurde, kam die Gefahr einer Ausbreitung des Virus in den Lagern dazu. Dort leben Tausende Flüchtlinge auf engstem Raum.
Sogar eine kleine Formel hatte Asselborn für seine Kollegen in der EU dabei. Zehn Kinder pro halbe Million Einwohner, das war seine Idee. Auf Luxemburg kämen so zehn Jugendliche, so Asselborn, Deutschland müsste 1600 Kinder aufnehmen, Frankreich 1200 – und so weiter.
"Jean, mach du, was du machen kannst."
An der Größe der Kontingente gab es Kritik - vielen erschienen sie fast lächerlich gering (lesen Sie hier einen Kommentar zum Thema). Und Asselborns Idee zündete erst mal nicht richtig. Das lag auch daran, dass die EU-Kommission keinen Vorschlag vorgelegt hatte, über den man hätte abstimmen können. Innenkommissarin Ylva Johansson verkündete nach der Sitzung zwar, eine Koalition der Willigen sei bereit, Kinder aufzunehmen. Konkretere Pläne aber hatte ihre Behörde offenbar nicht (lesen Sie hier ein Interview mit Johansson). Stattdessen bat sie Asselborn hinter verschlossenen Türen: "Jean, mach du, was du machen kannst."
Asselborn machte. Es folgte eine Odyssee durch griechische Behörden, die Verwaltung der Camps, das Flüchtlingshilfswerk der Uno (UNHCR). Die einsetzende Panik vor dem Coronavirus, neue Grenzkontrollen und spärlich besetzte Verwaltungen verkomplizierten die Sache. Doch am kommenden Mittwoch um Punkt 12.15 Uhr werden die Jugendlichen nun mit einer Sondermaschine von Aegean Airlines in Luxemburg erwartet.
Auch die deutsche Debatte bleibt davon offenbar nicht unberührt. Einen Tag, nachdem Asselborn seinen Deal über Twitter öffentlich gemacht hatte, beschloss das Bundeskabinett, auch Deutschland wolle möglichst rasch die ersten 50 Jugendlichen aus Griechenland aufnehmen. Wie kam es dazu?
"Es geht nicht auf dem normalen Weg", sagt Asselborn. Es ist vergangenen Dienstag kurz nach 9 Uhr, der Minister ist auf dem Sprung ins Büro. Eine Stunde später wird er mit Georgios Koumoutsakos telefonieren, der in der griechischen Regierung für Migration zuständig ist, danach stehen die letzten Details.
Auf dem normalen Weg würde man Diplomaten in Gang setzen, die Sache an einen Vertrauten delegieren, die Botschaft in Athen alarmieren. Der normale Weg, das musste Asselborn rasch einsehen, war in Zeiten von Corona versperrt. Auch sein Botschafter in Athen konnte nur per Telefon helfen.
Asselborn will zeigen, dass man den Kindern helfen kann, wenn man sich anstrengt. Eine einfache Sache aber ist es eben nicht – zumal in Zeiten, in denen die Coronakrise traditionelle Wege der Diplomatie extrem erschwert. "Wenn wir in Luxemburg das hinkriegen, dann können es auch andere EU-Länder hinkriegen", sagt er. "Jedes europäische Land, das ein Quäntchen Mitgefühl hat, sollte jetzt mit anpacken."
Ursprünglich hatten sich zehn EU-Länder bereit erklärt, Flüchtlingskinder aufzunehmen. Außer Deutschland und Luxemburg machen alle den Zeitpunkt der Aufnahme nun von der Entwicklung der Coronakrise abhängig.
Asselborn, 70 und gestandener Sozialdemokrat. In der Flüchtlingskrise wurde er zum Gegenspieler von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz. Während sie die Grenzen schlossen, focht er für mehr Solidarität.
Asselborn war es auch, der im September 2015 bei den EU-Innenministern den umstrittenen Beschluss zur Abstimmung stellte, wonach alle EU-Länder verpflichtet waren, eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Länder wie Ungarn weigerten sich, das Gesetz umzusetzen, die Debatte über verpflichtende Quoten führte zu einer tiefen Spaltung Europas. Erst vor wenigen Tagen urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Ungarn und andere Länder verpflichtet gewesen wären, den EU-Beschluss zu befolgen.