Coronavirus: Europas Zeitplan für das Ende des Lockdowns
Der europäische Kontinent ist gespalten: Während in Frankreich die Zwangsmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie verschärft wurden, beginnen andere Länder mit ersten Lockerungen. Wie sieht ihr Zeitplan aus? Eine Übersicht.
Für die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen, die sich mit schnellen, harten Entscheidungen gegen den Rat ihrer Experten gestellt hatte, muss der vergangene Montag ein schöner Tag gewesen sein.
Als sie sich abends zur besten Sendezeit vor die Kameras stellte, konnte sie endlich wieder eine gute Nachricht verkünden: die "kontrollierte, schrittweise und vorsichtige Öffnung" des Landes, den Anfang vom Ende der umfassenden Zwangsmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie.
Frederiksen war nach dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz die zweite europäische Spitzenpolitikerin, die sich das traute. Einige Stunden vor der Dänin hatte Kurz seinen Bürgern den Beginn einer "neuen Normalität" versprochen. Zur Begründung sagte er stolz: "Wir sind besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen Länder."
Sicher, es sind nur erste Lockerungen. Beide Regierungschefs haben ihre Ankündigung mit ernsten Appellen an die Vernunft ihrer Landsleute verbunden. Niemand darf übermütig werden, alle sollen wissen, dass die Regierenden den Shutdown jederzeit verschärfen können, wenn die Infektionsraten wieder steigen.
Frederiksen mahnte: "Wir werden nicht wieder zu dem Dänemark zurückkehren, wie es vor dem 6. März gewesen ist." An jenem Tag war sie vorgeprescht, hatte Kitas, Schulen, Universitäten sowie die Grenzen geschlossen, obwohl die dänischen Gesundheitsbehörden davon abgeraten hatten.
Weitere europäische Regierungen haben in den vergangenen Tagen ebenfalls Zeitpläne vorgelegt, wie sie das öffentliche Leben reanimieren wollen. Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg sagte über die Ausbreitung der Virusinfektion in ihrem Land: "Nach unserem Eindruck haben wir die Dinge unter Kontrolle."
Der für Europa zuständige Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Belgier Hans Kluge, hört so etwas allerdings gar nicht gern. Kluge warnte am Mittwoch: "Dies ist nicht der Moment, um die Maßnahmen zu lockern." Stattdessen müsse der Einsatz im Kampf gegen Covid-19 "noch einmal verdoppelt und verdreifacht" werden. Manche Länder folgen dem Rat der WHO, ein Ende des Lockdowns ist dort nicht in Sicht. In Frankreich wurde das Zwangsregime für viele Bürger sogar verschärft.
So kommt zu den vielen Spaltungen, die den Kontinent durchziehen, eine weitere hinzu: Neben den Regierungen, die schon die "neue Normalität" anstreben, gibt es jene, die das für verfrüht und gefährlich halten.
Länder, die schon den Versuch der Lockerung wagen, wollen sich dabei auf begleitende Vorsichtsmaßnahmen stützen. Zum möglichen Instrumentarium gehören die Schutzmaskenpflicht, "Tracing"-Apps auf dem Smartphone oder umfassende Testreihen, in denen Vergleichsgruppen auf Infektionen oder Antikörper untersucht werden. Von Land zu Land wird darüber unterschiedlich diskutiert.
Auch die konkreten Schritte, die bisher in europäischen Staaten beschlossen wurden, weichen stark voneinander ab. Eine Übersicht.
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In Spanien enden die beiden härtesten Wochen der Schließungen. Beschäftigte von Betrieben, die keine als lebenswichtig eingestuften Aufgaben erfüllen, dürfen wieder arbeiten gehen. In der U-Bahn sollen sie möglichst Masken tragen. Der am 15. März verhängte Ausnahmezustand dauert allerdings an, Restaurants und die meisten Geschäfte bleiben geschlossen, die grundsätzliche Ausgangssperre gilt weiter.
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Fachgeschäfte, Bau- und Gartenmärkte mit einer Verkaufsfläche unter 400 Quadratmetern dürfen in Österreich wieder aufmachen, ebenso Handwerksbetriebe. Staatliche Gärten wie der Schlosspark Schönbrunn lassen Besucher ein. Die Pflicht zum Tragen von Schutzmasken in Lebensmittelläden bleibt bestehen und wird auf andere Geschäfte, Arbeitsplätze und öffentliche Verkehrsmittel ausgeweitet.
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In Italien beginnt die sogenannte Phase 2 des Lockdowns. Viele Geschäfte, Service- und Industrieunternehmen dürfen unter verschärften Hygieneregeln den Betrieb wieder aufnehmen. Schon zuvor konnten rund 80.000 Firmen mit einer Ausnahmegenehmigung produzieren und liefern. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte, die schrittweise Öffnung sei wichtig "für die psychologische Stabilität der Bürger, für die öffentliche Ordnung und für die Auswirkungen des Lockdowns auf die Wirtschaft". Die generelle, strenge Ausgangssperre gilt allerdings weiterhin.
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Tschechen dürfen für Geschäftsreisen sowie Arzt- und Verwandtenbesuche außer Landes reisen. Rückkehrer müssen zwei Wochen in Quarantäne. Bereits eine Woche zuvor hat die Regierung in Prag die Beschränkungen etwas gelockert: Sportstätten sowie einige Geschäfte wie Baumärkte und Fahrradhändler sind seither geöffnet.
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In Dänemark öffnen Kitas, Vorschulen und Schulen bis zur 5. Klasse sowie Freizeiteinrichtungen für Kinder. Das Arbeitsleben soll sich "auf verantwortungsvolle Art und Weise" normalisieren. Busse und Bahnen erhöhen die Taktung.
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Die vom Rest Finnlands abgeriegelte Region Uusimaa rund um die Hauptstadt Helsinki wird voraussichtlich geöffnet.
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Die Norweger dürfen wieder in ihren Hütten auf dem Land übernachten – eine von vielen als besonders hart empfundene Einschränkung fällt damit weg. Außerdem öffnen die Kindergärten. Psychologen und Physiotherapeuten dürfen unter Auflagen wieder Patienten behandeln.
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Die spanische Regierung hat für diesen Tag weitere Lockerungen in Aussicht gestellt, Einzelheiten sind noch nicht bekannt.
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Für norwegische Schüler der Klassen 1-4 beginnt der reguläre Unterricht. Ältere Schüler sollen nach und nach folgen. Auch Berufsschulen und Universitäten nehmen schrittweise den Betrieb auf. Geschäfte und Friseure dürfen unter Auflagen öffnen.
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Die österreichische Regierung prüft, ob die schrittweise Öffnung richtig war oder ob erneute Schließungen notwendig sind.
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In Österreich öffnen voraussichtlich Friseure und größere Einkaufszentren.
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In Italien beginnt Phase 3 des Lockdowns. Die Ausgangssperre wird voraussichtlich gelockert. Im größten Teil der Firmen darf wieder gearbeitet werden, aber nur unter besonderen Vorkehrungen; zu diesen zählen abwechselnde Schichten und ausreichend Abstand zwischen den Beschäftigten. Nach und nach dürfen fast alle Geschäfte öffnen, ihre Kunden aber nur in regulierter Zahl einlassen. Beim Friseur und in Schönheitssalons gilt die Regel: nicht mehr als zwei Personen in einem Raum. Geschlossen bleiben Fitnessstudios, Schwimmbäder, Sportstadien, Diskotheken und zunächst auch Bars und Restaurants. Gruppenbildung in der Öffentlichkeit bleibt untersagt, Küsse und Umarmungen bei der Begrüßung sind auch im Familienkreis, vor allem im Umgang mit Älteren, tabu.
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Frühester Termin für weitere Lockerungen in Dänemark: regulärer Schulbetrieb für Kinder ab der 6. Klasse. Ende des Verbots öffentlicher Treffen von mehr als zehn Personen. Öffnung von Einkaufszentren, Sportvereinen, Bibliotheken und Kirchen. Öffnung der Landesgrenzen. Restaurants, Bars, Cafés und Friseure bleiben geschlossen.
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In Griechenland kommt es voraussichtlich zu ersten Erleichterungen, abhängig vom Verlauf der Pandemie. Die Regierung in Athen, die im März rasch reagiert hatte und eine dramatische Ausbreitung von Infektionen vermeiden konnte, hofft darauf, dass es von Juli bis September noch zu einer einträglichen Tourismussaison kommt.
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Frühester Zeitpunkt in Österreich für den Beginn des regulären Schulunterrichts sowie die Wiedereröffnung von Gaststätten und Hotels.
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Frühester Zeitpunkt, an dem in Norwegen wieder Sport- und Kulturveranstaltungen erlaubt sind.
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In Österreich können eventuell größere Veranstaltungen wie Konzerte und Theateraufführungen stattfinden.
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In Italien öffnen Kitas, Schulen und Universitäten. In Dänemark sind öffentliche Großveranstaltungen wieder erlaubt.
Die Pariser dürfen tagsüber nicht mehr joggen gehen
In einem besonders harten Kontrast zu den aufgelisteten Ländern steht Frankreich. Am Mittwoch kündigte die Regierung an, der rigorose Shutdown werde verlängert. Weiteren Aufschluss erhoffen sich die Franzosen von Emmanuel Macrons nächster Rede an die Nation, die der Präsident am Montagabend halten will.
Einzelne Städte haben unterdessen die Ausgangssperre verschärft:
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Die Pariser dürfen seit Mittwoch zwischen 10 und 19 Uhr nicht mehr joggen gehen;
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in Nizza gilt schon seit dem 22. März eine Sperrstunde von 22 Uhr bis 5 Uhr früh.
Zu Beginn der Osterferien am vergangenen Wochenende wurden die Kontrollen an Ausfallstraßen und Autobahnzahlstellen verschärft; 160.000 Gendarmen und Polizisten waren dazu im Einsatz. Weiterhin gilt: In ganz Frankreich dürfen Bürger nur mit einem datierten und mit Uhrzeit versehenen Formular des Innenministeriums das Haus für dringende Einkäufe, Arztbesuche oder sportliche Aktivitäten für maximal eine Stunde pro Tag verlassen und sich dann nur in einem Umkreis von einem Kilometer bewegen. Ausgenommen sind längere Arbeitswege für all jene, die nicht im Homeoffice bleiben können.
88 Prozent aller Franzosen halten die strengen Maßnahmen laut einer Umfrage des Instituts IFOP dennoch für gerechtfertigt. Die hohen Zustimmungswerte sind wohl auch durch die nach wie vor hohen Zahlen an Infektionen und Toten zu erklären.