Corona-Krise: Wie Fox News herunterspielte, abwiegelte, verzerrt
Fox News spielt beim US-Missmanagement der Coronakrise eine führende Rolle: Wie Präsident Trump hat auch der TV-Sender die Pandemie erst ignoriert - nun politisiert er sie. Die Folgen könnten fatal sein.
Mark Levin hat genug vom Corona-Shutdown. "Wie lange sollen wir uns noch einbunkern?", schimpft er. "Lasst die Leute wieder zur Arbeit! Öffnet diese Staaten wieder!"
Levin, 62, ist kein Mediziner. Er ist ein rechtskonservativer Aktivist und TV-Kommentator für Fox News. Seine jüngste, sechseinhalbminütige Tirade gegen die Ausgangsbeschränkungen und den US-Chefimmunologen Anthony Fauci ließ er am Gründonnerstag los, zur besten Sendezeit, als Gast des Fox-News-Stars Sean Hannity.
Levins Auftritt in Hannitys Show, der quotenstärksten im US-Kabelfernsehen, erreichte mindestens vier Millionen Amerikaner live und viele weitere später, über soziale Medien. Der wichtigste Fan saß im Weißen Haus: "Der unsichtbare Feind wird bald den Rückzug antreten!", twitterte US-Präsident Donald Trump wenige Stunden später, am Freitagmorgen.
Fox News war immer schon Trump-Booster und zugleich Stichwortgeber für den Präsidenten. Der "Feedback-Loop" zwischen dem Präsidenten und seinem Haussender schafft schon seit Jahren eine immer stärkere Desinformationsblase. Darin lässt sich kaum mehr auseinanderhalten, wer wen beeinflusst, wer wem die Marschorder gibt, wer auf wen hört.
Die Coronakrise gibt diesem Zusammenspiel eine akute, potenziell fatale Dimension: Beim wochenlangen Versagen der US-Regierung angesichts der Pandemie spielte Fox News eine tragende Rolle.
Statt das Publikum - das große Schnittmengen zu Trumps Unterstützern aufweist - in einer Zeit zu informieren, in der korrekte Informationen lebenswichtig sind, bewirkt Fox News das Gegenteil. Das gilt nicht nur für das meinungslastige Abendprogramm. Erst spielte der Sender die Gefahren durch das Virus als "Schwindel" herunter. Dann gab er China und den Demokraten die Schuld. Zudem werden die Probleme der US-Regierung bei der Bewältigung der Pandemie kleingeredet.
Der gemeinsame Nenner: Alles tun, um Trumps Wiederwahl zu sichern. Ein Zusammenschnitt des Lincoln Projects - eines Zusammenschlusses republikanischer Trump-Gegner, die seine Wiederwahl verhindern möchten - verdeutlicht dies.
Eine direkte Linie zwischen Fox News, Trumps Corona-Missmanagement und den hohen Covid-19-Raten in den USA lässt sich zwar - noch - nicht ziehen. Doch die Echokammer zeigt bereits Wirkung. Umfragen zufolge nimmt die überwiegende Mehrheit der Fox-News-Zuschauer das, was sie dort erfahren, für bare Münze. Sie glauben bis heute, dass die Medien die Corona-Gefahren übertreiben, sorgen sich nur wenig um ihre Gesundheitund ignorieren die Ausgangsbeschränkungen oft - was nicht nur ihnen schadet, sondern möglicherweise vielen Mitbürgern.
Dabei wusste der Sender intern offenbar schon früh, wie ernst die Lage war. Lachlan Murdoch, ältester Sohn von Fox-News-Gründer Rupert Murdoch und Vorstandschef des Mutterkonzerns Fox, soll laut "New York Times" bereits im Januar auf dem Laufenden gewesen sein. Ab Ende Februar habe Fox News seine Zentrale in Midtown Manhattan desinfizieren lassen, Termine abgesagt und das Studiopersonal reduziert.
Doch nach außen verharmloste der Sender die Situation weiter, wie Trump auch. "Die Apokalypse kommt, und Sie werden alle sterben", witzelte Hannity am 25. Februar, als das Virus die USA längst erreicht hatte. Die Demokraten - Hannity nannte sie "radikal-sozialistisch" - wollten nur glauben machen, dass Trump "an allem schuld" sei. Am selben Tag erklärte Trumps Top-Berater Larry Kudlow - selbst ein früherer TV-Kommenator - die Pandemie für "eingedämmt".
Am 8. März sagte Murdochs Familie nach Informationen der "New York Times" eine Party zum 89. Geburtstag des Medienmoguls ab, aus Angst um seine Gesundheit. Das Fox-News-Publikum erfuhr davon nichts - die Hälfte ist älter als 65 Jahre.
Stattdessen beschuldigte Lou Dobbs - Moderator beim Schwestersender Fox Business News und ein persönlicher Freund Trumps - die "linken Medien" tags darauf, "die Angst vor dem Coronavirus hochzuspielen". Seine Kollegin Trish Regan nannte die Coronakrise einen "Versuch, den Präsidenten aus dem Amt zu entfernen". Regan wurde später deshalb geschasst, Dobbs ist weiter im Amt.
Inzwischen hatten sich auch mehrere Fox-Angestellte angesteckt. Als sich die Lage nicht mehr leugnen ließ, kam die Kehrtwende. Er habe das Virus "immer ernst genommen", sagte Hannity, nachdem er das Virus wochenlang heruntergespielt hatte. Neue Linie: China und die Demokraten seien schuld - und ohne Trumps Intervention wäre es noch schlimmer.
Die Trump-freundliche Linie bekräftigte Fox News bei einer "virtuellen Townhall" mit Trump. Da kündigte der Präsident an, die stillgelegte Nation zu Ostern "wiedereröffnen" zu wollen, und behauptete, niemand habe die Pandemie kommen sehen, obwohl die US-Geheimdienste schon im November Bescheid gewusst haben sollen. Die Moderatoren korrigierten Trump kein einziges Mal. Rund 4,5 Millionen Menschen verfolgten das PR-Spektakel. Inzwischen sagt Trump, die Frage, wann man die Maßnahmen wieder lockern und die Wirtschaft wieder ans Laufen bringen könne, sei die "größte Entscheidung" seines Lebens.
Seit Wochen propagieren Hannity, Levin und andere Trump-Cheerleader bei Fox News außerdem das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin als Corona-Gegenmittel, obwohl seine Wirkung unklar ist. Als Trump das hörte, begann auch er es in seinen Pressekonferenzen zu erwähnen.
Ein weiterer Fox-News-Dauergast, der Hydroxychloroquin pusht, ist der Chirurg und TV-Arzt Mehmet Oz. Zuvor hatte er unter anderem für dubiose Diätmittel geworben und 2016 Trump einen makellosen Gesundheitszustand attestiert. "Dr. Oz" ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Ex-Showmaster Trump lieber TV-Stars glaubt als tatsächlichen Experten.
Neuerdings bezweifeln prominente Fox-News-Moderatoren wie Tucker Carlson und Brit Hume die Corona-Todeszahlen: Diese würden von Journalisten übertrieben, um Trump absichtlich in ein schlechtes Licht zu rücken.
Obwohl Chef-Immunologe Fauci das energisch dementiert hat, fordern die TV-Talker seit zwei Wochen, die Ausgangsbeschränkungen deshalb wieder aufzuheben. Zu ihnen zählen Lynnette Hardaway und Rochelle Richardson, zwei Trump-Megafans, die unter dem Duo-Künstlernamen Diamond and Silk auftreten. "Wir können nur gegen die Umwelt immun werden, wenn wir draußen in der Umwelt sind", twitterten sie am Mittwoch. Mit anderen Worten: Bleibt nicht länger zu Hause!