Bahnhofsmission München in Corona-Zeiten: Suppe aus dem Food-Truck
Starker Andrang von Bedürftigen, Sicherheitsabstand für Trinker: Das Coronavirus bedroht auch die Bahnhofsmissionen. Bei deren Stammkundschaft verschärfen sich die Probleme.
Es sind nun mehr Tauben da, hat Bettina Spahn beobachtet. Sie zeigt beim Rundgang durch die Halle auf ein paar Vögel, die einige Meter von den Gleisköpfen des Münchner Hauptbahnhofs Krümel vom Boden picken. Von dort verjagen sie sonst die Verkäufer der umliegenden Kioske und Imbissbuden. Doch die meisten sind derzeit verwaist.
Spahn, eine gelernte Krankenschwester, leitet die Katholische Bahnhofsmission am Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs, sie kennt jede Ecke des Gebäudes und hat ein genaues Gespür für die Sorgen, die die Reisenden und die Dauergäste des Bahnhofs jeden Tag bewegen.
Die wandeln sich mit Fortschreiten der Coronakrise. Im Zeitraffer: Bis vor ein paar Tagen großer Andrang, Menschen, die nach Hause wollten. Jetzt: Eine unwirkliche Ruhe. Für die Zukunft: Menschen und Probleme, die bleiben.
Vor der massiven Glastür der Bahnhofsmission mit der Sprechklappe sind auf dem Boden mit Klebeband Abstandsmarkierungen aufgebracht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahnhofsmission geben hier Tee und Brot aus, dazu gespendete Kleider. Sie helfen aber auch gestrandeten Reisenden, buchen Züge und sogar Flüge. Die Bahnhofsmission bekommt Geld von der Stadt, sie ist im Gefüge der Hilfseinrichtungen die niederschwelligste Anlaufstelle.
"Wo will ich sein, wo ist mein Lebensmittelpunkt?"
In dieser Funktion erlebte sie bis Ende März einen Ansturm: 600 bis 700 Hilfsbedürftige standen jeden Tag an, statt der üblichen 300. Die Schlange ging bis zum Abgang zur U-Bahn aus der Bahnhofshalle. (Lesen Sie hier einen Überblick über die Situation der Obdachlosen in der aktuellen Krise.)
"Wir hatten eine Grundverunsicherung", erzählt Spahn in ihrem Büro. "Jeder hat überlegt: Wo will ich sein, wo ist mein Lebensmittelpunkt." Da die Grenzen stärker kontrolliert wurden, wussten beispielsweise viele Osteuropäer nicht, ob und wie sie es in ihre Herkunftsländer schaffen könnten.
"Nun kämpfen wir damit, dass die Versorgungsinfrastruktur dünner geworden ist", sagt Spahn. Nicht nur die Geschäfte mussten wegen Infektionsgefahr schließen, sondern auch viele Suppenküchen und Kleiderkammern. Soziale Einrichtungen und Beratungsstellen stellten auf reinen Telefon- oder Online-Kontakt um. Dabei ist das Bedürfnis nach direkter Ansprache groß. Denn die Klientel plagten "Existenzängste", so Spahn. "Die, die gesellschaftlich unten durch sind, sind auf solche Einrichtungen angewiesen."
Die Leiterin lobt, wie engagiert Stadt und Bürgerschaft in der Not zupackten. Essen, Kleider und Geldspenden trafen ein, Caritas und Innere Mission konnten mit städtischen Mitteln außerhalb des Bahnhofs zwei Food-Trucks aufstellen, um dort kostenlos Suppe auszugeben.
Der Übernachtungsschutz der Stadt München für Obdachlose in der Bayern-Kaserne hat jetzt ganztägig geöffnet, auch dort gibt es Essen.
Die Flaschensammler finden keine Flaschen mehr
Dennoch ist die sozial schwache Stammkundschaft der Bahnhofsmission eher schlechter dran als vor Corona. Die Flaschensammler zum Beispiel finden keine Flaschen mehr, Betteln lohnt sich nicht bei so wenig Passanten. "Die Multi-Problemlagen verschärfen sich", so erklärt Spahn die Tendenz.
Im Aufenthaltsbereich der Bahnhofsmission dürfen jetzt nur noch wenige Menschen gleichzeitig sitzen. Ein zahnloser Mann erzählt davon, dass er früher Stürmer in einer Fußballbetriebsmannschaft gewesen sei, jetzt wartet er auf eine rechtliche Beratung. Es gibt einen neuen Hygieneplan, mittlerweile sind auch wieder Desinfektionsmittel vorhanden.
Im Begegnungszentrum D3 der Caritas, einer Zuflucht für Suchtkranke und Obdachlose in der Nähe des Bahnhofsausgangs, gelten nun Abstandsregeln: Maximal 22 Personen dürfen hier nun gleichzeitig ihren niedrigprozentigen Alkohol trinken, jeweils nur maximal eineinhalb Stunden lang. Normalerweise ist der Aufenthalt unbegrenzt zwischen 9 und 16 Uhr möglich.