Corona: Missbrauch von Hilfen für Kleinstunternehmer in Berlin
Berlin bekommt viel Lob: Die Milliardenhilfe für Kleinstunternehmer kam schnell und unbürokratisch. Doch das Geld floss offenbar auch an viele, die es gar nicht brauchen.
An Begeisterung für sich selbst hat es dem Berliner Senat noch nie gefehlt. Doch selten wird die überschwängliche Selbsteinschätzung von einer breiteren Öffentlichkeit geteilt. Ganz anders ist das in der Coronakrise: Die schnelle und unbürokratische Auszahlung der Soforthilfen für Ladenbesitzer, Gastwirte und kleine Dienstleister hat den Regierenden viel Anerkennung eingebracht.
Berlin fand auch international Beachtung, in Ost und West: Die "New York Times" schrieb Lobendes. Der glückliche Facebook-Post eines ursprünglich aus Sankt Petersburg stammenden Fremdenführers, er habe zum ersten Mal etwas Gutes durch einen Staat erfahren, wurde in seiner erstaunten russischen Heimat 20.000-fach geteilt.
Das Programm habe "in nur wenigen Tagen unzähligen Menschen wieder Luft zum Atmen gegeben", findet Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Es habe "der Stadt in ihrer ganzen Breite unter die Arme gegriffen und ist ein riesiger Erfolg".
Die Frage ist allerdings, ob das Programm womöglich zu breit angelegt war - und auch unter den ein oder anderen Arm griff, der eigentlich allein stark genug gewesen wäre.
Ein gut verdienender Berliner Manager fiel jedenfalls aus allen Wolken, als ihm seine Frau nach dem Abendbrot eröffnete: Schatz, ich könnte morgen 5000 Euro vom Senat bekommen. Die selbstständig tätige Sprachlehrerin hatte sich um einen Platz in der Warteliste des Berliner Soforthilfeprogramms für Kleinunternehmer bemüht.
Tausende Euro für ein gut versorgtes Ehepaar
Hätte sie den Antrag zu Ende ausgefüllt, sie hätte mit großer Wahrscheinlichkeit binnen kurzer Frist auch eine erkleckliche Summe auf dem Konto gehabt. So wie ihre Bekannten, die sie auf das Programm aufmerksam gemacht hatten, und die Beträge zwischen 5000 und 14.000 Euro ausgezahlt bekamen - obwohl nicht alle Existenzsorgen wegen Corona haben. Teils, weil sie neben der gemeldeten Selbstständigkeit auch noch einer zweiten Tätigkeit nachgehen, in Festanstellung. Oder weil sie nicht durch Kosten etwa für ein eigenes Ladengeschäft oder Büro belastet sind. Oder weil der Partner gut verdient.
In einem Fall überwies der Senat 9000 Euro auf das Konto eines Journalisten, der zwar auf dem Papier auch ein Gutachterbüro betreibt, in den vergangenen Jahren aber offenbar nur wenig Aufträge bearbeitet hat - und dessen Partnerin bei einem Dax-Konzern arbeitet.
Auch mit dem Antrags- und Formularwesen vertraute Fachleute melden leise Zweifel an, ob das Prinzip der großen Gießkanne wirklich geeignet war für die Hilfe, die die Politik versprochen hatte. "Im Prinzip war der Antrag auf Soforthilfe so einfach wie der Gang zum Geldautomaten", lästert ein Steuerberater. Wenn einem die Sache so leicht gemacht werde, komme das fast einer Einladung zum Missbrauch gleich. "Wie sagte Einstein so treffend", sagt der Fachmann, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, in breitem Berlinerisch: "Allet sollte so einfach wie möglich sein - aber nicht zu einfach."
Bei der in Berlin federführenden Investitionsbank IBB will man solche Einwände nicht ohne Weiteres gelten lassen. Im elektronischen Antragstool habe man "einige automatische Prüfmechanismen" integriert, sagt IBB-Kommunikationschef Jens Holtkamp. Diese Prüfroutinen seien ergänzt worden durch manuelle Stichprobenüberprüfungen. "Alle auffälligen Anträge schauen wir uns sehr genau an". Man gehe weiterhin davon aus, dass zweifelhafte Auszahlungen im "Vergleich zu den bewilligten Anträgen eine vernachlässigbare Größe bleiben".
Das Dilemma: Prüfen - oder schnell sein?
Noch ist nicht abzuschätzen, wie groß der Anteil der missbräuchlich gestellten - und bewilligten - Anträge tatsächlich ist. Einzelfälle sind es allerdings offenbar nicht. So berichtet ein selbstständiger Tanz- und Fitnesslehrer dem SPIEGEL, er habe etwas überrascht festgestellt, dass ihm statt der beantragten 5000 Euro sogar 8000 Euro überwiesen seien worden. Warum, das könne er selbst nicht verstehen. In seinem Bekanntenkreis sei es vielen ähnlich ergangen. Geld sei auch an einen Kollegen geflossen, "der einen festen und weiter bezahlten Job hat". Alle würden sich nun fragen, "was wir mit dem Geld überhaupt machen dürfen".